Relazione tedesca del prof. dr. Dieter Kugele – Potsdam – 10/10/2014
Die Rolle von Verwaltungsrichtern und der Einfluss der Politik auf ihre Tätigkeit – Funktion – Ernennung/Beförderung
Prof. Dr. Dieter Kugele, RiBVerwG a.D.
Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
lassen Sie mich zum Auftakt eine Geschichte erzählen.
Als junger Regierungsrat war ich Mitte der 70er Jahre einem Oberlandesanwalt beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof als wissenschaftlicher Mitarbeiter zugeteilt. Oberlandesanwälte vertraten damals in Bayern den beklagten Staat vor den Verwaltungsgerichten.
In einem Verwaltungsstreitverfahren ging es im Zuge einer Neuordnung der bayerischen Landkreise um die Frage, ob der Donau-Flusshafen weiterhin der Stadt Regensburg zugeordnet werden sollte. Denn er war zuvor weit über die Stadtgrenze hinaus auf das Gebiet des Landkreises Regensburg ausgedehnt worden. Die Entscheidung hatte einen bedeutenden Einfluss auf die Gewerbesteuereinnahmen der beiden Gebietskörperschaften. Auf Ladung des Gerichts fand eine Ortsbesichtigung statt. In der Mittagspause saßen die Verfahrensbeteiligten gerade in einer Gastwirtschaft zusammen, als der Senatsvorsitzende und zugleich Präsident des Gerichts vom Wirt zum Telefon gerufen wurde. Nach wenigen Minuten kam er mit hochrotem Gesicht an den Tisch zurück. Er machte seinem Ärger Luft und erzählte uns, was vorgefallen war: Ein hochgestellter politischer Amtsträger habe ihm am Telefon verdeutlicht, dass es nur eine richtige Entscheidung geben könne. Der Präsident solle Einfluss auf seine Richter nehmen. Das könne man von ihm erwarten. Schließlich habe er seine berufliche Stellung der Landesregierung zu verdanken.
Wie ist ein solcher Vorgang zu bewerten?
Ein derartiger Telefonanruf eines Parlamentsmitglieds und hochgestellten Parteifunktionärs beim zuständigen Richter während eines laufenden Verfahrens passt zunächst in das Nomenklatursystem (1) des Einparteienstaates. Dort herrscht keine Gewaltenteilung. Vielmehr müssen sich alle staatlichen Einrichtungen dem Erkenntnismonopol der Einheitspartei unterwerfen.(2) Diejenigen unter Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die in der DDR aufgewachsen sind,werden sich an dieses System der Unterdrückung des freien politischen Ideenwettbewerbs erinnern.
Im gewaltenteilenden Rechtsstaat ist eine solche Einmischung in einen laufenden Verwaltungsrechtsstreit natürlich ein absolutes No-Go. Sie ist auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass die politischen Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG). Dies gilt auch für den geschilderten Fall, obgleich die gebietsrechtliche Zuordnung des Flusshafens wegen der Gewerbesteuerfrage nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine sehr politische Frage war.
Der geschilderte Versuch unzulässiger politischer Einflussnahme war wenig intelligent, sodass er schon wegen seiner unverblümten und dummen Plumpheit scheitern musste. Dazu ist das Selbstbewusstsein der deutschen Richterschaft seit Gründung der Bundesrepublik viel zu gefestigt. Allerdings wird man ein derartiges rechtsstaatliches Fehlverhalten letztlich nie verhindern können. Ich kann jedem Richter nur raten, solchen Druckkulissen zu widerstehen, einen Aktenvermerk über das Gespräch zu fertigen, den eigenen Spruchkörper und, in krassen Fällen, den Gerichtspräsidenten zu informieren.
Den thematischen Schwerpunkt unserer Tagung sehe ich in solchen Vorgängen allerdings nicht. Ich möchte mich vielmehr mit den systemischen Möglichkeiten politischer Einflussnahme beschäftigen.
So komme ich jetzt zu der Frage, warum das Tagungsthema besonders für Verwaltungsrichter zu jeder Zeit brisant ist.
Verwaltungsrichter genießen, wie alle staatlichen Richter sachliche und persönliche Unabhängigkeit; sie sind nur dem Gesetz unterworfen (Art. 97 Abs. 1 GG).
Die sachliche Unabhängigkeit bedeutet, dass sie in ihrer Entscheidung und deren Vorbereitung frei von äußeren Einflüssen sind.(3) Dazu gehören alle richterlichen Handlungen, die in einem konkreten Verfahren zur Rechtsfindung gehören.(4) Der Verwaltungsrichter unterliegt bei der Durchführung dieser Aufgaben keinerlei Weisungsbefugnis.(5) Er ist wegen der in der Verfassung verankerten richterlichen Unabhängigkeit aus der im demokratischen System sonst notwendigen personellen Legitimationskette herausgelöst.6 Die Legitimation der Richtermacht beruht insoweit unmittelbar auf der Verfassung.
Untersagt sind schließlich auch jegliche Einflussnahmen anderer Art, etwa Bitten, Anregungen oder Empfehlungen, z.B. des Gerichtspräsidenten oder eines Kollegen, vor allem aber jede Art von Druck, etwa fallbezogene Vorhaltungen oder Maßregelungen,(7) sowie mittelbar wirkende Maßnahmen, z.B. unsachgemäße Mittelzuweisungen an die Gerichte.(8)
Im Bereich der persönlichen Unabhängigkeit(9) ist der Richter vor persönlichen Sanktionen wegen missliebiger Entscheidungen geschützt.(10) Schutzwirkung etwa hat die grundsätzlich lebenslängliche Anstellung und das Verbot, ihn gegen seinen Willen zu versetzen. Ohne sachliche Rechtfertigung kann er auch nicht von einer Streitsache abgezogen werden. Ich brauche das nicht näher auszuführen; sie sind alle Richterinnen und Richter und ich will keine Eulen nach Athen tragen.
Was ist aber nun das Besondere an der Rolle des Verwaltungsrichters im Vergleich zu anderen Richtern? In unseren Heimatländern ist die Teilung der staatlichen Gewalten im Grundsatz verwirklicht. In Deutschland muss man allerdings eher von gegenseitiger Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Gewalten sprechen.(11) Eine strikte Gewaltenteilung existiert nicht. Man kann das schon daran erkennen, dass die Berufsrichter von Organen der Legislative oder Exekutive ausgewählt werden, obgleich sie mit ihrer judikativen Tätigkeit der Dritten Gewalt zugeordnet sind. Ich will nicht so weit gehen und sagen, dass dadurch der Richtervorbehalt (Art. 92 GG) und das daraus abgeleitete Rechtsprechungsmonopol(12) verletzt werden. Auch der Grundsatz der organisatorischen Selbständigkeit der Gerichte(13) wird nicht angetastet. Ebenso wird nicht unmittelbar in die richterliche Unabhängigkeit eingegriffen.(14)
Da der Gewaltenteilungsgrundsatz in Deutschland nicht strikt verankert ist, verstoßen die Beteiligung parlamentarischer Wahlausschüsse und die Mitwirkung der Exekutive bei der Auswahl der Richter nicht gegen Verfassungsrecht. Entscheidend ist aber, dass die Mitglieder des Wahlausschusses in die Lage versetzt werden, das Prinzip der Bestenauslese tatsächlich zu verwirklichen, und dass sie das auch wirklich tun.
Was die Auswahl der Richter ohne Einschaltung eines parlamentarischen Richterwahlausschusses, sondern ausschließlich durch die Exekutive betrifft, so z.B. in Bayern, wird man allerdings kaum sagen können, die Ernennung oder Beförderung eines Richters sei ein Akt der Gerichtsverwaltung, also Bestandteil exekutiver Aufgabenerfüllung. Das mag für das reindienstrechtliche Ernennungs-Procedere gelten. Es gilt aber nicht für den materiell-rechtlichen Inhalt einer Auswahlentscheidung. Denn hierbei geht es um die Durchsetzung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG).
Bei der Ernennung und Beförderung von Richtern ausschließlich durch Organe der politischen Exekutive erfasst mich allerdings trotz verfassungsrechtlicher Unbedenklichkeit schon immer ein Gefühl des Unbehagens. Das gilt besonders für die Ernennung und Beförderung von Verwaltungsrichtern. Denn zu ihrem „Kundenkreis“ gehört in großem Umfang die öffentliche Hand. Verwaltungsrichter müssen gegebenenfalls die Kuh schlachten, von deren Milch sie leben. Das ist wie ein Kampf mit Skylla oder Charybdis. Darin liegt der erste Teil der Besonderheit der Tätigkeit des Veraltungsrichters.
Der zweie Teil der Besonderheit liegt in der demokratischen Legitimationskette, in die der öffentlich- rechtliche “Kundenkreis“ des Verwaltungsrichters eingebunden ist. Seine Institutionen unterstehen unmittelbar oder mittelbar der politischen Entscheidungsebene. Die wiederum hat sich ihrerseits gegenüber dem Volkssouverän zu verantworten. In dieser Verantwortungskette liegt der wunde Punkt: Die Meinungsbildung auf der politischen Entscheidungsebene unterliegt nämlich völlig anderen Kautelen als die Entscheidungen eines gerichtlichen Spruchkörpers. Ich will damit nicht sagen, dass politische Entscheidungen nicht sachbezogen wären. Was mich aber beunruhigt, ist, dass sie häufig zusätzlich rein politischen Zwängen unterliegen, die in der Sache nicht gerechtfertigt sind, etwa aufgrund eines Kompromisses im Koalitionsvertrag oder aufgrund eines landesweit als wichtig eingestuften Ereignisses.
Denken Sie nur an Fukushima und die germanische Angstphobie. Beide haben – sozusagen von jetzt auf gleich – zum Beginn des Ausstiegs aus der Atomkraft geführt. Das war sachlich kein sofort notwendiger Schritt. Es war aber ein hoch politischer Schritt zur Machterhaltung. Richter müssen Emotionen bei Ihren Entscheidungen ausklammern. Politiker dürfen sie insbesondere dann nicht außer Acht lassen, wenn es sich um einen Mainstream handelt. Tun sie es dennoch, riskieren sie den Machtverlust.
Denken Sie an die derzeit in Deutschland heftig diskutierte Einführung einer Straßenmaut. Begonnen hat die Heftigkeit dieser Diskussion im letzten Bundestags-Wahlkampf. Der Bayerischen CSU ist es mit dem Vorschlag einer Straßenmaut für Ausländer gelungen, die Stammtische zu erobern. Die Partei hat bei der Wahl ein gutes Ergebnis eingefahren. So konnte sie das Maut-Thema zum Gegenstand des Koalitionsvertrages machen.
Auf ministerieller Arbeitsebene hat man dann aber erkannt, dass eine bloße Autobahnmaut ein betriebswirtschaftliches Nullsummenspiel werden würde. Also hat man das Ganze neu etikettiert. Derzeit ist ein für die Nutzung aller Straßen geltender Infrastrukturbeitrag das Gesetzesziel. Diese Lösung wirft schwierige Fragen auf, die bisher nicht geprüft worden sind. Käme es allerdings zu einem solchen Gesetz, dann würde schon der erste verwaltungsgerichtliche Prozess ein viel beachtetes Verfahren sein. In solchen Fällen gilt dann der Satz: „Vae victis!“ Die Frage ist nur, ob zu den Besiegten auch die beteiligten Verwaltungsrichter gehören.
Die Entscheidungsprozesse politischer Akteure laufen wegen der existentiellen Berücksichtigung öffentlicher Befindlichkeiten anders ab als Entscheidungsprozesse eines gerichtlichen Spruchkörpers. Die einen stehen unter öffentlicher Überwachung. Die andern genießen die Abgeschiedenheit des abgesperrten Beratungszimmers. Die einen werden nicht wieder gewählt. Die andern werden allenfalls von der nächst höheren Instanz aufgehoben. Daher wird es immer so sein, dass politische Instanzen, die Einfluss auf Karriere und Tätigkeit der Verwaltungsrichter haben, in erster Linie politisch denken, taktieren und agieren.
Wir kennen alle das öffentliche Gezerre um politische Ämter. Eine besondere Art Tauschbasar findet bei der Vergabe hoher Richterämter im Bundesdienst statt. Es geht um den Länderproporz, den Parteienproporz und natürlich letztlich auch um Qualität. Was die Qualifikation der Kandidaten betrifft, mache ich mir im Prinzip keine Sorgen. Die Dienstherren der Länder oder des Bundes sind ja selbst daran interessiert, besonders geeignete Personen in den Wahlgang zu schicken.
Die Frage ist nur, ob ein parlamentarischer Wahlausschuss praktisch in der Lage ist, den besten Kandidaten auszusuchen. Ich zweifle sogar daran, dass er diesen Grundsatz überhaupt auf seinem Schirm haben kann. Ich denke, dass die Bestenauslese in den Ländern stattfindet. Nur dort können die Bewerber nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung sachkundig ausgesucht werden. Im Wahlausschuss selbst steht der Länderproporz im Vordergrund (Art. 36 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 95 Abs. 2 GG).(15) Nach dessen Vorgaben werden die Weichen für den bevorstehenden Wahlgang bereits am inoffiziellen Vorabend der Auswahlentscheidung gestellt. Würde der Grundsatz der Bestenauslese tatsächlich im Wahlausschuss zur Anwendung kommen, dann stünden sich Kandidaten gegenüber, deren Qualifikation in den einzelnen Ländern nach nicht ohne weiteres kompatiblen Kriterien festgestellt worden ist.
Eine verfassungsfeste Vergleichbarkeit wäre wegen der immer noch bestehenden föderalen Unterschiedlichkeiten derzeit nur sehr schwer herstellbar. Nicht zu Unrecht hat die frühere Justizministerin Däubler-Gmelin die Auffassung vertreten, dass der Grundsatz der Bestenauslese im Richterwahlausschuss von Bundestag und Bundesrat keine Bedeutung habe. Das ist natürlich für einen streng im Sinne des Grundsatzes der Bestenauslese Denkenden starker Tobak.
Tatsächlich müssen wir uns aber damit abfinden, dass die Bestenauslese bei der Wahl der Bundesrichter in den Ländern stattfindet. Das ist die logische Konsequenz des Länderproporzes. Es wird daher bei der Bundesrichterwahl nicht der Beste gewählt, sondern der Beste aus Bayern oder aus Thüringen oder aus Hamburg.(16) Richter des Bundesverfassungsgerichts wird entsprechend der vermeintlich Beste auf Vorschlag einer politischen Partei, die an der Reihe des Vorschlagsrechts ist. Das ist die logische Konsequenz des Parteienproporzes.
In den Richterwahlausschüssen der Länder ist die Sache weniger kompliziert. Allerdings kann sich auch dort der Virus der parteipolitischen Ämterpatronage durchsetzen. In aller Regel wird man auch hier Tauschgeschäfte machen.
Es geht aber nicht nur um das unterschiedliche Rollenverhalten politischer und nicht politischer Instanzen. Es muss – wie schon gesagt – bedacht werden, dass der Verwaltungsrichter über Maßnahmen seines eigenen Dienstherrn entscheidet. In vielen Fällen kann er seine Entscheidungen auf den Gesetzeswortlaut stützen. Gerade infolge des hoch entwickelten Abstraktionsprinzips des deutschen Rechts mit zahllosen unbestimmten Rechtsbegriffen und mit kognitiven sowie voluntativen Interpretationsspielräumen steht man allerdings vor einem weiten Feld der Überraschungen. Sage mir niemand, dass gerade bei der Ermessensinterpretation oder dem Ausloten eines Beurteilungsspielraums zwischen administrativer Prärogative und richterlicher Entscheidungskompetenz im Einzelfall niemals zumindest auch ein politischer Vorgang stattfindet. Und dieser Vorgang hängt natürlich auch vom Zeitgeist ab, wenn es der maßgebliche materiell-rechtliche Entscheidungszeitpunkt zulässt.
Lassen Sie mich, um das „Politische“ bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe plastisch zu machen, ein Beispiel aus der Rechtsprechung nennen:
Ein Richter in Frankfurt am Main war wegen seiner polyglotten Begabung jahrelang mit schiedsrichterlichen Verfahren international agierender Konzerne im Rahmen von Nebentätigkeitsgenehmigungen beschäftigt. Seine amtlichen Aufgaben hat er nie vernachlässigt. Niemand hat sich daran gestört, dass sein Honorar nach dem Gegenstandswert ermittelt wurde. Es war manchmal höher als seine Richterbezüge.
Das ging gut, bis etwas Hochpolitisches geschah, an dem dieser Richter gar nicht beteiligt war:
Ein anderer Richter nämlich, der Präsident eines anderen Gerichts in Frankfurt am Main, erzielte für ein Gutachten ein Millionenhonorar. Der Vorgang wurde in der Bildzeitung mit großer Überschrift angeprangert. Politik und Neider heulten auf. Man forderte den Präsidenten auf, das „Schandhonorar“ zurückzuzahlen. Der wollte nicht und verschwand mit der Million in den Ruhestand.
Dieses Ereignis wurde skandalisiert und führte dazu, dass die Nebentätigkeitsverordnung des Landes geändert wurde. Man führte eine Verdienstobergrenze ein. Das traf auch den Richter in Frankfurt. Das Bundesverwaltungsgericht hielt die Verdienstobergrenze für zulässig, weil sie dazu dienen könne, einen bösen Schein vom öffentlichen Dienst fernzuhalten.(17)
Sachlich betrachtet waren die Honorare nicht zu beanstanden. Sie wurden vereinbarungsgemäß jeweils auf der Grundlage der damaligen Gebührenordnung ermittelt. Die Höhe des Honorars lässt außerdem in diesen Fällen keine Rückschlüsse auf den benötigten Zeitaufwand zu. Gerade dieser Gesichtspunkt ist aber in aller Regel das wichtigste Kriterium, um beurteilen zu können, ob der Richter sich im Rahmen seiner Nebentätigkeitsgenehmigung bewegt hat.
Politisch aber wirkte das Millionenhonorar elektrisierend, zumal in den Jahren der wirtschaftlichen Depression. Da bot sich dem Bundesverwaltungsgericht der wahrlich kryptische Begriff des bösen Anscheins aus dem Beamtenrecht an. Dieser Begriff, der noch aus der Kaiserzeit stammt, wurde aus der Truhe geholt und die Sache war entschieden. Bis zu diesem durch die Presse skandalisierten Ereignis entsprach der Zeitgeist dem Grundsatz, dass öffentlich Bedienstete im Rahmen genehmigter Nebentätigkeiten das Honorar erhalten durften, das ihnen nach den einschlägigen Bestimmungen zustand. Erst der Weckruf des Millionenhonorars brachte ein Upgrade des Zeitgeistes. Gelobt sei der unbestimmte Rechtsbegriff.
Lassen Sie mich jetzt noch etwas zum Verständnis des Begriffes „Dienstherr“ sagen. Dabei handelt es sich um einen abstrakten Rechtsbegriff. Dieser wird mit Blick auf den praktischen Vollzug der Bestenauslese erst konkret, wenn er personifiziert ist. Denn hinter dem Dienstherrn steckt ein Beamter, ein Mensch also mit Intellekt und Emotionen. Da kann eine Gerichtsentscheidung in der Exekutive schon mal Ärger verursachen. Diesen trägt der betroffene Ministerialdirektor weiter und lebt ihn bei Gelegenheit als Argument gegen eine Beförderung des entsprechenden Richters aus. Sie kennen ja den Spruch: “Semper aliquid haeret.“
Ich komme zu einem Resümee:
Für eine verfassungsgerechte Ernennung und Beförderung ist entscheidend, dass der Grundsatz der Bestenauslese berücksichtigt wird. Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Die Verfassung macht dem Dienstherrn keine Vorschriften, mit welcher Methode und mit welchem Verfahren diesem grundrechtsgleichen Anspruch entsprochen wird. Es spielt daher aus diesem Gesichtspunkt keine Rolle, ob die Auswahlentscheidung ein parlamentarischer Wahlausschuss auf der Grundlage eines Vorschlags der Exekutive trifft oder ob der Richter von der Exekutive allein ausgesucht und ernannt wird oder ob es ein Auswahlverfahren gibt, an dem weder die Legislative noch die Exekutive beteiligt sind: etwa eine Auswahl der Richter durch ein Richterkollegium.
Mit meinen Bedenken am praktischen Vollzug der derzeitigen Bestenauslese bin ich nicht allein. Die Auswahl der Richter, insbesondere im Bundedienst, ist immer wieder ein Thema, das gelegentlich hochkocht.
Das Auswahlverfahren allein durch Organe der Exekutive ist – von normalen Fehlentscheidungen im Einzelfall abgesehen – in Allgemeinen nicht zu beanstanden, soweit für den Qualifikationsvergleich der Bewerber um ein Richteramt sogenannte harte Vergleichsmaßstäbe vorhanden sind und eingesetzt werden. In aller Regel sind das die Examensnoten, manchmal zusätzlich noch das Ergebnis eines Assessments, sowie Jahre nach der Einstellung für eine Beförderung die dienstlichen Beurteilungen. Auch herausragende wissenschaftliche Leistungen können ein Auswahlkriterium sein.
Zwar sind diese Verfahren durchaus fehleranfällig, sie sind aber durch Gerichte nachprüfbar. Das bedeutet, dass in dem Bereich, in dem die Kandidaten der Regelbeurteilung unterliegen, politische Ämterpatronage und Nepotismus für Verursacher sowie für Teilnehmer gleichermaßen gefährlich sind. In diesem Bereich ist allerdings auch das Interesse der Politik an einer konkreten Personalentscheidung eher gering. Das heißt, dass der Zugang zum Verwaltungsrichteramt in der Eingangsinstanz für unser Thema, jedenfalls was Deutschland betrifft, weniger interessant ist. Das gilt in aller Regel auch für die nächst höhere Stufe, das Amt des Vorsitzenden Richters am Verwaltungsgericht und des Richters am Oberverwaltungsgericht.
Weniger transparent sind Beförderungsverfahren in höhere Richterämter dann, wenn die Bewerber keine aktuellen dienstlichen Beurteilungen vorweisen können, weil sie der Regelbeurteilung nicht mehr unterliegen. Zwar gilt auch bei den Vorsitzenden Richtern am Oberverwaltungsgericht der Grundsatz der Bestenauslese, der sich materiell-rechtlich nicht von den Kriterien unterscheidet, die für die Richter gelten, die der Regelbeurteilung noch unterliegen. In aller Regel kann man sich mit einer Anlassbeurteilung behelfen, die die bisherige durch ältere aber noch verwertbare Regelbeurteilungen bewiesene berufliche Qualifikation nachzeichnet. Im Ergebnis sehe ich auch in diesem Bereich grundsätzlich zwar keine systemischen Probleme, wohl aber bereits eine abstrakte Gefährdung des Grundsatzes der Bestenauslese. Denn Anlassbeurteilungen sind, und das weiß jeder, der mit Personalrecht zu tun hat, nicht selten wie Trauerreden. Es wird der Himmel herunter gelogen.
Stellt sich noch die Frage, wie sich die Dinge bei den Ämtern der Präsidenten- und Vizepräsidenten, insbesondere der Oberverwaltungsgerichte und erst recht des Bundesverwaltungsgerichts, verhalten. Hier spricht die politische Exekutive auf jeden Fall und oft auf höchster Ebene mit. Erschwerend kommt hinzu, dass es in einem gerichtlichen Verfahren in der Praxis schwer sein dürfte, einen Qualifikationsvergleich sachgerecht durchzuführen. Denn hier ist das politische Ermessen so stark ausgeprägt, das letztlich de facto keine materiell-rechtliche, sondern nur eine verfahrensrechtliche Bestenauslese stattfinden kann. Das zeigen jedenfalls die Beispiele aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, deren Entscheidungen auf dieser Ämterebene ausnahmslos Fehler des Verfahrens im Blick haben.
Es darf natürlich nicht übersehen werden, dass die Präsidenten der Verwaltungsgerichte aller Stufen hauptsächlich exekutive Aufgaben der Gerichtsverwaltung zu erfüllen haben. Zwar schließen sie sich einem Spruchkörper ihrer Wahl an, doch ist nach den Geschäftsverteilungsplänen in aller Regel dafür Sorge getragen, dass die Präsidenten mit judikativer Arbeit nicht überlastet werden. Lediglich an kleineren Gerichten und auf besonderen Wunsch des Amtsinhabers kann anderes gelten. Für die Ämter der Vizepräsidenten gilt ähnliches. Besonders an personell starken Gerichten – auch in der Eingangsstufe – erfordert die zeitraubende Aufgabe der Führung und Beaufsichtigung des nichtrichterlichen Personals Fingerspitzengefühl und Lebenserfahrung. Bei diesen Ämtern ist es schon fraglich, nach welchen Kriterien die Bestenauslese stattfinden sollte. Allein ein guter Richter zu sein, garantiert nicht, dass er auch Personal führen und das Gericht in der Öffentlichkeit sachgerecht vertreten kann.
Andererseits darf der Einfluss der Gerichtspräsidenten nicht zu gering bewertet werden. Immerhin gehört es zu ihren Aufgaben, die Richter dienstlich zu beurteilen und dem Ministerium diejenigen vorzuschlagen, die sie für eine Beförderung für geeignet halten. Allein in diesem Vorschlagsrecht liegt ein hohes Potential zur parteipolitischen Ämterpatronage. Das gilt vor allem dann, wenn der Amtsinhaber der politischen Partei des Ministers nahe steht. Zudem sind starke Persönlichkeiten vor allem nach längerer Dienstzeit in der Lage, auch Präsidium und Richterrat für ihre Personalvorschläge zu gewinnen.
Praktisch betrachtet macht es daher schon Sinn, dass die Exekutive bei der Auswahl der Gerichtspräsidenten entscheidet. Mein Unbehagen beruht allerdings darin, dass niemand wirklich nachprüfen kann, nach welchen Kriterien die Auswahl erfolgt. Ich denke, dass der Satz gilt: Nicht der Beste wird ausgewählt, sondern der Beliebteste. Fatal ist allerdings, dass der Liebhaber immer derselbe ist, namentlich die politische Exekutive.
Hierzu – eher am Rande – eine kleine Geschichte: Ein Richterkollege am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erzählte mir beim Mittagessen, er sei gerade auf dem Ticket der SPD zum Landesverfassungsrichter gewählt worden. Staunend erinnerte ich ihn, dass er mir gesagt habe, bereits vor 10 Jahren aus der SPD ausgetreten zu sein. Das treffe zu, antwortete der Kollege, das sei jedoch in der SPD wohl niemandem aufgefallen.
Letztlich müssen wir im Fall der Auswahl dieser Amtsträger davon ausgehen, dass die Auswahlentscheidungen kaum transparent sind. Dennoch halte ich dies im Grundsatz für akzeptabel. Auch hierzu zwei aktuelle Beispiele:
In diesem Sommer wurden die Spitzenämter des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts neu besetzt. Schon vor vielen Jahren ist in der CDU der Wunsch geäußert worden, die Spitze des Bundesverwaltungsgerichts mit einer Persönlichkeit zu besetzen, die von der Union vorgeschlagen wurde. Denn seit langer Zeit wurden die Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts von der SPD vorgeschlagen. Aus nachvollziehbaren Gründen konnte es erst in diesem Jahr zu dem gewünschten Farbenwechsel kommen. Das Medium des Wechsels war zur Erhaltung des Parteienproporzes natürlich wieder ein Tauschgeschäft.
Oder: Der Richter des Bundesverfassungsgerichts Gerhard ist kürzlich aus seinem Amt ausgeschieden. Sein Richterstuhl war ein Berufsrichterstuhl, den die SPD besetzen darf. Würde man den Grundsatz der Bestenauslese unterstellen, müsste man zugestehen, der Kollege, den die SPD nun als Nachfolger vorgeschlagen hat, sei nur der Beste der SPD-Kandidaten. Ob er der Beste aller möglichen Kandidaten ist, bleibt offen. Also wieder ein Beispiel dafür, dass der Parteienproporz ebenso wie der Länderproporz den Grundsatz der Bestenauslese zumindest relativiert. Der Kollege Maidowski, der auf Vorschlag der SPD zum Verfassungsrichter gewählt wurde, ist allerdings – aus meiner persönlichen Kenntnis – eine absolut vortreffliche Wahl.
Dennoch: Man kann das Blatt drehen, wie man möchte: Die Auswahl der Kandidaten für herausgehobene Richterpositionen ist eine politische Entscheidung. Das Amt bekommt der, der von denjenigen geliebt wird, die den Trumpf ausspielen dürfen. Daher macht es summa summarum auch keinen Unterschied, ob ein parlamentarischer Wahlausschuss beteiligt ist oder ob die politische Exekutive allein entscheidet. Denn der Deal der Parteien muss eingehalten werden.
Ich denke, dass das auch eine sachliche Berechtigung hat. Denn im föderalen System unterwerfen sich die Länder der Rechtskontrolle der obersten Gerichte des Bundes. Da deren Entscheidungen die Rechtsprechung der Landesgerichte beeinflussen, ist der Länderproporz eine praktikable Lösungsmöglichkeit. Letztlich gilt dies auch für den Parteienproporz, womit politische Auswahlentscheidungen zumindest proportional ausgeglichen werden. Die politischen Parteien akzeptieren diese Staatspraxis in aller Regel. Als die SPD auf Vorschlag ihrer damaligen Obfrau Däubler-Gmelin im Richterwahlausschuss in den späten 90er Jahren aus der Verabredungspraxis ausscherte, kam es mit dem Kabinett Kohl zu massiven Verwerfungen, die der Sache sehr geschadet haben.
Kommen wir – abschließend – aus den Höhen der obersten Bundesgerichte zurück auf den verwaltungsgerichtlichen Alltag:
Im Gegensatz zu früher wird heute häufig von der dienstrechtlichen Konkurrentenklage Gebrauch gemacht, sodass Ämterpatronage und Nepotismus Gefahr laufen, entdeckt zu werden. Das ist ein großer Fortschritt. Dass das Bundesverwaltungsgericht, bestärkt durch das Bundesverfassungsgericht, den Grundsatz der Bestenauslese ernst nimmt, zeigt mein letztes Beispiel, mit dem ich meinen Beitrag beenden will:
Der Präsident des Oberlandesgerichts Koblenz wird auf dem Ticket der SPD Justizminister in Rheinland-Pfalz. Er ist bemüht, einen Kollegen, den Präsidenten eines Eingangsgerichts, zu seinem Nachfolger im Oberlandesgericht zu machen. Dieser bewirbt sich; ein anderer dummerweise auch. Es kommt zu einer Konkurrentenklage, die der Favorit des Ministers in zwei Instanzen im Eilverfahren gewinnt. Der Unterlegene kündigt sofort an, Verfassungsbeschwerde zu erheben. Dem will der Minister zuvor kommen. Er bestellt seinen Favoriten kurzer Hand ins Ministerium, um ihm die Ernennungsurkunde auszuhändigen und so die Ernennung in trockene dienstrechtliche Tücher zu bringen. Die Aushändigung der Urkunde erfolgte bereits eine halbe Stunde nach dem Eintreffen des Eilbeschlusses des Oberverwaltungsgerichts im Justizministerium.
Das Bundesverwaltungsgericht, das einige Zeit später über die Hauptsacheklage auf Durchführung eines neuen Auswahlverfahrens zu entscheiden hatte, hob die bisherige Auswahlentscheidung auf, verpflichtete das beklagte Land, die Ernennung des siegreichen Ministerfavoriten zum Präsidenten des Oberlandesgerichts rückgängig zu machen und ein neues Auswahlverfahren durchzuführen.(18)
Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass in diesem Fall wegen eines verfassungsrechtlich unverfrorenen Verhaltens eines Landesministers nur Scherben übrig geblieben sind. Aber der Rechtsstaat hat gesiegt. Darauf kommt es an.
Was bleibt mir als Schlusssatz? Ich beschränke mich auf die hintersinnige dritte Strophe eines Gedichts von Matthias Claudius aus dem 18. Jahrhundert:
„Seht Ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön. So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsere Augen sie nicht sehen.“