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Andreas Middeke Tag

Relazione tedesca dr. Andreas Middeke – Tolone – 4/10/2013

Dr. Andreas Middeke, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Münster,

Lehrbeauftragter an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen – Abt. Münster –

Die gemeindliche Bauleitplanung in der Bundesrepublik Deutschland

(nach Dürr/Middeke/Schulte Beerbühl, BauR NRW, 4. Aufl., Baden-Baden, 2013, Rn. 6 ff.)

  1. Allgemeines

Die gemeindliche Bauleitplanung ist das Kernstück des modernen Städtebaurechts in Deutschland.[1] Sie soll eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung und eine dem Wohl der Allgemeinheit entsprechende sozialgerechte Bodennutzung gewährleisten und dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern.

Die gemeindliche Bauleitplanung der Bundesrepublik Deutschland ist im Baugesetzbuch (BauGB) geregelt und obliegt den Gemeinden.[2] Das BauGB geht vom Grundsatz der Planmäßigkeit aus.[3] Dies bedeutet, dass eine bauliche Nutzung bisher unbebauter Grundstücke nicht dem Zufall oder dem Willen des jeweiligen Grundstückseigentümers überlassen bleiben soll, sondern von der Gemeinde eine für ihr Gebiet umfassende Überplanung vorzunehmen ist. Es handelt sich um eine Gesamtplanung, die die Nutzung des Gemeindegebiets unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten regeln soll.

Diese Überplanung nehmen die Gemeinden in einem zweistufigen Verfahren vor.[4] Zunächst werden für das gesamte Gemeindegebiet ein vorbereitender Bauleitplan (Flächennutzungsplan) und anschließend zur näheren Ausgestaltung der vorbereiteten Nutzung verbindliche Bauleitpläne (Bebauungspläne) aufgestellt (§ 1 Abs. 2 BauGB). Diese Zweistufigkeit soll gewährleisten, dass die Gemeinde sich Gedanken über die grundsätzliche Nutzung des Gemeindegebiets und die räumliche Zuordnung der verschiedenen Nutzungsarten (z.B. Wohngebiete, Gewerbegebiete, Sportanlagen, Verkehrswege) machen muss. Hierbei handelt sich um eine weisungsfreie Pflichtaufgabe (§ 3 Abs. 1 GO NRW), also um eine Angelegenheit der Selbstverwaltung der Gemeinde i.S.d. Art. 28 Abs. 2 GG. Die Erforderlichkeit zur Bauleitplanung unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff voller gerichtlicher Kontrolle.[5]

Nicht erforderlich ist ein Bebauungsplan dann, wenn seine Festsetzungen sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht verwirklichen lassen.[6] Hierzu können z. B. auch unüberwindbare finanzielle Hindernisse[7] oder sonstige langfristige Hindernisse[8] zählen, wenn beispielsweise Grundstückseigentümer nicht bereit sind, die für die geplante Nutzung benötigte Fläche zu verkaufen.[9]

  1. Gesetzliche Schranken der Bauleitplanung

 

Bei der Aufstellung von Bauleitplänen unterliegt die Gemeinde vielfältigen tatsächlichen und rechtlichen Bindungen.

Zu unterscheiden ist zwischen zwingenden gesetzlichen Anforderungen und sog. Optimierungsgeboten. Während die zwingenden gesetzlichen Schranken unbedingt zu berücksichtigen sind, sind Optimierungsgebote abwägungsflexibel.

  1. Gesetzliche Schranken bei der gemeindlichen Bauleitplanung sind:
  2. Ziele der Raumordnung und Landesplanung (§ 1 Abs. 4 BauGB)

 

Die Bauleitpläne sind nach § 1 Abs. 4 BauGB den Zielen der Raumordnung und Landesplanung, also den Planungsentscheidungen auf überörtlicher Ebene anzupassen.[10]

 

  1. Interkommunale Abstimmungsgebot (§ 2 Abs. 2 BauGB)

 

Die Gemeinden müssen bei der Aufstellung von Bauleitplänen auch die Planungen benachbarter Gemeinden sowie überörtlicher Planungsträger berücksichtigen.[11] Die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden sind aufeinander abzustimmen (materielle Abstimmungspflicht). Die formelle Abstimmungspflicht beinhaltet die Anhörung der Nachbargemeinde bei der Aufstellung eines Bauleitplans.

Bsp.: Es verstößt gegen das Gebot interkommunaler Abstimmung, wenn die Gemeinde unmittelbar an der Gemeindegrenze in der Nachbarschaft eines Wohngebiets der Nachbargemeinde einen Schlachthof plant.[12]

  1. Fachplanerische Vorgaben

Neben der eigenen Bauleitplanung hat eine Gemeinde weitere Planungsentscheidungen durch sog. Fachplanungsgesetze wie z.B. für Straßenbau, Abfallentsorgung, Luftfahrt, Energieanlagen, Wasserwirtschaft zu beachten[13] und bei der Bauleitplanung einzubeziehen.

  1. Naturschutzrechtliche Eingriffsregelung (§ 1 a Abs. 3 BauGB)

 

Des weiteren hat die Gemeinde bei ihrer Bauleitplanung die Vermeidung zu erwartender Eingriffe in Natur und Landschaft sowie deren Ausgleich zu berücksichtigen.[14] Das Naturschutgesetz verlangt, dass eine vermeidbare Beeinträchtigung von Natur und Landschaft unterlassen wird, also Vermeidbarkeit der Beeinträchtigung, nicht etwa der Vermeidbarkeit der eingreifenden Maßnahme. Ist eine Beeinträchtigung der Natur in diesem Sinne unvermeidbar, ist ein Ausgleich oder eine Ersetzung durch Maßnahmen zugunsten der Natur vorzunehmen[15] z. B.: 50 m breite Wildbrücke über eine Autobahn[16] oder Ersetzung einer alten Feldhecke durch eine doppelt so große neue Feldhecke[17] oder Renaturierung einer Kiesgrube[18].

  1. Umweltprüfung (§ 2 Abs. 4, § 2 a BauGB)

 

Die bundesrechtlich umgesetzte Umweltprüfung der Plan-UP-Richtlinie erfolgt im Rahmen des Aufstellungsverfahrens. Die Plan-UP führt zu einer systematischen Erfassung aller Umweltauswirkungen. Ihr Ergebnis ist in einem Umweltbericht zusammen zu fassen, der Teil der Begründung des Flächennutzungsplans und des Bebauungsplans ist.

 

  1. Optimierungsgebote

 

Es handelt sich dabei um gesetzliche Vorrangsregelungen, die der Gemeinderat möglichst beachten soll; sie können aber im Einzelfall im Wege der Abwägung mit anderen – auch nicht zu optimierenden – öffentlichen oder privaten Belangen zurückgestellt werden.[19] Optimierungsgebote können also anders als gesetzliche Schranken im Wege der Abwägung überwunden werden, d.h. hinter anderen öffentlichen Belangen zurückgestellt werden[20] Das BVerwG[21] spricht insofern auch von Abwägungsdirektive[22].

 

  1. Planungsleitsätze

 

  1. Entwicklungsgebot (§ 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB)

 

Nach § 1 Abs. 2 BauGB umfasst der Oberbegriff “Bauleitplan” den Flächennutzungsplan (vorbereitender Bauleitplan) und den Bebauungsplan (verbindlicher Bauleitplan).

 

  1. Flächennutzungsplan (Schaubild)

 

Der Flächennutzungsplan erstreckt sich nach § 5 Abs. 1 BauGB über das gesamte Gemeindegebiet. Er enthält nur eine grobmaschige Planung.[23] Im Flächennutzungsplan werden deshalb i.d.R. nur Bauflächen, nicht aber bereits einzelne Baugebiete dargestellt.[24] Die Einzelheiten zur Bebauung werden erst später in den Bebauungsplänen geregelt. Der Flächennutzungsplan ist das “grobe Raster”, aus dem nach dem Entwicklungsgebot die Bebauungspläne zu entwickeln sind.[25] Dieses schließt es freilich nicht aus, dass der Flächennutzungsplan im Einzelfall bereits sehr konkrete Darstellungen enthält. Seine Rechtsnatur wird überwiegend als hoheitliche Maßnahme eigener Art bezeichnet.[26]

 

  1. Der Bebauungsplan

 

Auf der Basis des grobmaschigen Flächennutzungsplans ist der Bebauungsplan für einzelne Teile des Gemeindegebietes zu entwickeln. Die im FNP getroffene Grundentscheidung zur baulichen Nutzung darf hierdurch allerdings nicht verändert werden.[27] Der Grundsatz, dass der Bebauungsplan aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln ist, hat zwei bedeutsame Ausnahmen erfahren.

 

  1. Selbständiger Bebauungsplan (§ 8 Abs. 2 Satz 2 BauGB)

 

Nach der sog. abstrakten Betrachtungsweise ist ein Flächennutzungsplan dann nicht erforderlich, wenn der Bebauungsplan wegen der geringen Bautätigkeit in der Gemeinde zur Gewährleistung der städtebaulichen Ordnung ausreicht; dieses wird allenfalls in kleinen Landgemeinden der Fall sein.[28] Nach der sog. konkreten Betrachtungsweise ist ein Flächennutzungsplan ferner dann entbehrlich, wenn die praktische Bedeutung des Bebauungsplans so unbedeutend ist, dass die Grundkonzeption der Planung von ihm nicht berührt wird.[29]

Bsp. Der Bebauungsplan umfasst nur ein 1,6 ha großes, bereits weitgehend bebautes Gebiet.[30]

 

  1. vorzeitiger Bebauungsplan (§ 8 Abs. 4 BauGB)

 

Hat die Gemeinde keinen wirksamen Flächennutzungsplan, kann sie gleichwohl einen Bebauungsplan aufstellen, wenn dringende Gründe dieses erfordern und der Bebauungsplan der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung nicht entgegensteht.[31] Dringende Gründe sind anzunehmen, wenn die sofortige Aufstellung des Bebauungsplans erheblich gewichtiger ist als das Festhalten an dem Entwicklungsgebot. In einem solchen Fall muss dann aber nachträglich ein Flächennutzungsplan aufgestellt werden, der die Festsetzungen des Bebauungsplans übernimmt.

 

Bsp. a) Zur Beseitigung der Wohnungsnot ist dringend die Schaffung weiterer Baugebiete er-   forderlich (BVerwG NVwZ 1985, 745).

  1. b) Eine ländliche Gemeinde stellt einen Bebauungsplan auf, um die Errichtung eines unerwünschten großen Appartementhauses zu verhindern (VGH Mannheim BRS 38 Nr. 108).
  2. c) Eine Stadt benötigt zur Altstadtsanierung dringend die Ansiedlung eines Kaufhauses (VGH Mannheim VBlBW 1982, 229).
  3. Allgemeingültige Planungsprinzipien

 

Die Gemeinde muss bei der Bauleitplanung schließlich die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden allgemein gültigen Planungs­leit­sätze beachten.[32] Die Nichtbeachtung dieser Prinzipien führt zur Nichtigkeit des Bebauungsplans.

 

  1. Gebot äußerer Planungseinheit

 

Für ein Gebiet darf nur ein Bebauungsplan existieren[33]; unschädlich ist allerdings, wenn ein späterer Plan einen früheren ergänzt.[34] Möglich ist es auch, dass das Gemeindegebiet je nach Bedarf und Erforderlichkeit in verschiedene Sektoren unterteilt wird, für die dann selbständig ein jeweils eigenständiger Bebauungsplan aufgestellt wird.

 

  1. Gebot positiver Planung

 

Der Bebauungsplan muss Festsetzungen enthalten, die positiv bestimmen, welche bauliche oder sonstige Nutzung zulässig ist. Eine bloße “Negativplanung” (Verhinderungsplanung) ist unzulässig, wenn Festsetzungen nicht dem planerischen Willen der Gemeinde entsprechen, sondern nur das vorgeschobene Mittel sind, eine andere Nutzung zu verhindern.

 

Bsp.: Wenn die Gemeinde in Wirklichkeit keine land- bzw. forstwirtschaftliche Nutzung will, ist die Festsetzung von Flächen für die Forst- und Landwirtschaft in einem Bebauungsplan wegen des Verstoßes gegen das Gebot der städtebaulichen Erforderlichkeit unzulässig, sofern diese nur dazu dienen soll, eine andere Nutzung (Bebauung oder zweckfremde Nutzung) zu verhindern.[35]

 

Die Verfolgung negativer Zielvorstellungen kann im Einzelfall der Hauptzweck einer Planung sein. Entscheidend ist, dass die planerische Ausweisung eine positive planerische Aussage über die zukünftige Funktion im städtebaulichen Gesamtkonzept der Gemeinde zum Inhalt hat und sich nicht auf die bloße Abwehr jeglicher Veränderung durch die Aufnahme bestimmter Nutzungen beschränkt.

 

Bsp.: Die Gemeinde weist eine Außenbereichsfläche als landwirtschaftliche Nutzfläche aus, um den Kiesabbau in einem landschaftlich reizvollen Bereich zu verhindern.[36]

 

3       Bestimmtheitsgebot

 

Der Bebauungsplan muss inhaltlich so bestimmt sein, dass die Betroffenen wissen, welchen Beschränkungen ihr Grundstück unterworfen bzw. welchen Belastungen es – beispielsweise durch Immissionen – ausgesetzt sein wird. Es muss aber nicht alles geregelt werden, was geregelt werden kann (Grundsatz der planerischen Zurückhaltung). Der Grundsatz der Bestimmtheit ist erst dann verletzt, wenn der Inhalt der Festsetzungen des Bebauungsplans sich auch nicht durch die Heranziehung der Begründung[37] konkretisieren lässt und die Ungewissheit über die zukünftige Bebauung gemäß den Festsetzungen des Bebauungsplans für die Planbetroffenen nicht mehr zumutbar ist.

  1. Das Verfahren bei der Aufstellung von Bauleitplänen (Formelle Seite)

 

Für die Aufstellung von Bauleitplänen hat der deutsche Gesetzgeber ein bestimmtes Verfahren vorgesehen.

  1. Aufstellungsbeschluss (§ 2 Abs. 1 BauGB)

 

Zunächst ist ein sog. Aufstellungsbeschluss des Rates der Gemeinde erforderlich, für ein bestimmtes Gebiet innerhalb der Gemeinde einen Bauleitplan aufzustellen (§ 2 Abs. 1 BauGB). In dringenden Fällen kann ein solcher Beschluss von dem Bürgermeister oder dem stellvertretenden Bürgermeiser zusammen mit dem Ausschussvorsitzenden und einem anderen dem Ausschuss angehörenden Ratsmitglied erlassen werden.[38] Der Beschluss ist ortsüblich bekannt zu machen.[39] Erst mit der Veröffentlichung erhält der Beschluss seine Rechtswirksamkeit.

  1. Planentwurf und Begründung

 

Die Gemeinde selbst oder ein von ihr beauftragtes Planungsbüro fertigen einen Planentwurf. Der Planentwurf muss eine Begründung enthalten; die Begründung muss den Umweltbericht der Plan-UP umfassen. Ein Verstoß gegen die Begründungspflicht ist allerdings nur dann beachtlich, wenn er innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung gerügt wird (§§ 214 Abs. 1 Nr. 3, 215 Abs. 1 BauGB). Eine lediglich unvollständige Begründung ist demgegenüber nach § 214 Abs. 1 Nr. 3 BauGB unschädlich.

III.    Anhörungsverfahren (§ 3 Abs. 1 BauGB)

 

Das Verfahren der Anhörung dient der möglichst frühzeitigen Erörterung des Planentwurfs mit der Öffentlichkeit, damit diese noch vor einer Festlegung des Gemeinderats Einfluss auf die Bauleitplanung nehmen kann. Die Anhörung verlangt Gelegenheit zur Äußerung und zur Erörterung, so dass auf eine mündliche Besprechung der Bauleitpläne mit den betroffenen Bürgern nicht verzichtet werden kann.[40]

  1. Beteiligung der Behörden und Träger öffentlicher Belange (§ 4 BauGB)

 

Nach § 4 BauGB sollen Behörden und sonstige Träger öffentlicher Belange frühzeitig unterrichtet und ihnen Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben werden. Rechtliche Vorgaben, welche Behörden oder sonstige Stellen im Rahmen des Planungsverfahrens beteiligt werden müssen oder sollten, gibt es nicht. In Betracht kommen alle, deren öffentlicher Aufgabenbereich je nach Lage des Einzelfalls betroffen sein kann; insoweit vor allem: Gewerbeaufsicht, Umweltbehörden, Landschaftsbehörden, Energieversorgungsunternehmen, Telekommunikationseinrichtungen, anerkannte Naturschutzverbände sowie die benachbarten Gemeinden.

Die Behörden haben ihre Stellungnahme nach § 4 Abs. 2 BauGB grundsätzlich innerhalb eines Monats abzugeben. Die Frist kann sowohl verlängert (§ 4 Abs. 2 Satz 2 BauGB) als auch verkürzt (§ 4 a Abs. 3 BauGB) werden. Bei Fristüberschreitung können die Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange nach § 4 Abs. 6 BauGB unberücksichtigt bleiben.

  1. Öffentliche Auslegung (§ 3 Abs. 2, § 4 a BauGB)

 

Den wichtigsten Teil der Beteiligung der Öffentlichkeit an der Bauleitplanung stellt die öffentliche Auslegung dar.[41] Hierzu ist zunächst Ort und Dauer der Auslegung mindestens 1 Woche vorher ortsüblich bekannt zu machen. Dabei muss die Stelle, bei der die Pläne eingesehen werden können, genau bezeichnet werden.[42] Die bekannt gemachte Bezeichnung des Bebauungsplans muss so gewählt sein, dass sie die sog. Anstoßfunktion erfüllt, also der betroffene Grundstückseigentümer erkennt, dass sein Grundstück im Geltungsbereich des Bebauungsplans liegt. Die Bekanntmachung muss so erfolgen, dass sie dem an der Bauleitplanung interessierten Bürger sein Interesse an Information und Beteiligung durch Anregungen und Bedenken bewusst macht.[43] Hierfür reicht die schlagwortartige geographische Bezeichnung aus.[44] Die Auslegung dauert einen Monat.

 

Innerhalb der Monatsfrist kann jedermann Anregungen vorbringen; dieses muss schriftlich oder zur Niederschrift der Gemeinde geschehen.[45] Ein Versäumnis der Frist hat zur Folge, dass die Gemeinde die Anregungen nicht zu prüfen und die Entscheidung hierüber nicht mitzuteilen braucht. Der Gemeinderat muss allerdings bei der Abwägung inhaltlich nach § 4 a Abs. 6 BauGB auch verspätete Einwendungen berücksichtigen, soweit er die geltend gemachten Belange kannte oder hätte kennen müssen oder die Einwendungen für die Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans von Bedeutung sind.

Die fristgerecht eingebrachten Bedenken müssen dem Gemeinderat bekannt gegeben und von diesem geprüft werden.[46] Über das Ergebnis ist der Einsprecher zu informieren. Bei mehr als 50 Einwendern können diese allerdings nach § 3 Abs. 2 Satz 5 BauGB auf die Einsichtnahme in den öffentlich ausgelegten Gemeinderatsbeschluss verwiesen werden.

Ein Verstoß gegen die Formvorschriften des § 3 Abs. 2 BauGB führt stets zur Nichtigkeit des Bebauungsplans, sofern der Fehler innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 BauGB gerügt wird. Da ein Bebauungsplan eine Satzung und damit eine Rechtsnorm ist, kommt es nicht darauf an, ob der Verfahrensfehler wesentlich ist; anders ist es nur, wenn der Verfahrensfehler sich denknotwendig nicht auf den Bebauungsplan ausgewirkt haben kann.

  1. Übertragung auf Private (§ 4 b BauGB)

 

Nach § 4 b BauGB kann die Gemeinde zur Beschleunigung des Verfahrens sowohl die Bürgerbeteiligung nach § 3 BauGB als auch die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange nach § 4 BauGB einem Dritten übertragen.[47] In der Regel handelt es sich bei dem Dritten um einen Bauträger, der an der möglichst schnellen Ausweisung eines neuen Baugebiets interessiert ist. Diese “Privatisierung” ist problematisch. Der Projektträger darf nicht an Stelle der Gemeinde die Planungsentscheidung treffen. Es ist allein Aufgabe der Gemeinde, die Abwägungsentscheidung eigenverantwortlich zu treffen.

 

VII.   Satzungsbeschluss (§ 10 BauGB)

 

Nach Abschluss des Auslegungsverfahrens beschließt der Gemeinderat endgültig über die Bauleitplanung. Soweit es um die Aufstellung eines Bebauungsplans geht, ist dieser Beschluss nach § 10 BauGB in Form einer Satzung zu fassen. Es wird damit eine Rechtsnorm geschaffen, die vor den deutschen Obergerichten im Wege des sog. Normenkontrollverfahrens überprüft werden kann.

Der Bebauungsplan muss in seiner endgültigen Fassung ausgefertigt, d.h. vom Bürgermeister mit Namen und Amtsbezeichnung unterschrieben werden.[48] Die Ausfertigung ist zwar nicht gesetzlich vorgeschrieben, ergibt sich aber aus dem deutschen Rechtsstaatsprinzip.[49]

VIII.  Genehmigung (§§ 6, 10 Abs. 2 BauGB)

 

Der Flächennutzungsplan bedarf für seine Wirksamkeit der Genehmigung nach § 6 BauGB. Das Gleiche gilt nach § 10 Abs. 2 BauGB für Bebauungspläne, die ohne vorherigen Flächennutzungsplan aufgestellt worden sind.[50] Die (höhere) Genehmigungsbehörde hat die Genehmigung zu erteilen, wenn der Bauleitplan ordnungsgemäß zustande gekommen und auch inhaltlich rechtmäßig ist. Die Genehmigungsbehörde ist hinsichtlich der Kontrolle des Bauleitplans ebenso beschränkt wie das Verwaltungsgericht.[51]

Die Genehmigung ist innerhalb von 3 Monaten zu erteilen; wird diese Frist jedoch versäumt, gilt die Genehmigung als erteilt.

  1. Bekanntmachung (§ 10 Abs. 3 BauGB)

 

Die Genehmigung des Bebauungsplans bzw. der Satzungsbeschluss sind ortsüblich bekannt zu machen und zugleich der Bebauungsplan zur Einsicht bereitzuhalten.[52] Der Bebauungsplan selbst wird nicht bekannt gemacht. Das BVerfG hat entschieden, dass das Rechtsstaatsprinzip keine bestimmte Form der Bekanntmachung vorschreibt, sondern lediglich verlangt, dass sich jeder Betroffene Kenntnis vom Inhalt der Rechtsnorm verschaffen kann[53]. Eine unterbliebene Bekanntmachung führt jedoch zur Nichtigkeit des Bebauungsplans.[54]

  1. Vereinfachtes Verfahren (§§ 13, 13 a BauGB)

Die Änderung und Ergänzung eines Bebauungsplans kann nach § 13 BauGB in einem vereinfachten Verfahren durchgeführt werden[55], sofern die Grundzüge des Bebauungsplans nicht berührt werden oder im nichtbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) bei der Aufstellung eines Bebauungsplans von der bestehenden baurechtlichen Situation nicht wesentlich abgewichen wird. Die Grundzüge der Planung werden nicht berührt, wenn die städtebauliche Situation, die sich aus dem bestehenden Bebauungsplan oder der vorhandenen Bebauung ergibt, im Grundsatz erhalten bleibt.[56] Anders ist es dann, wenn der Baugebietstypus geändert wird.[57]

  1. Die Abwägung der Belange nach § 1 Abs. 6, 7 BauGB (Materielle Seite)
  2. Allgemeines

 

Die Abwägung öffentlicher und privater Belange stellt das Zentralproblem der Bauleitplanung dar.[58] Sie ist das eigentliche Betätigungsfeld gemeindlicher Planungshoheit und entspringt dem Rechtsstaatsprinzip und des in ihm enthaltenen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

Bei der Abwägung steht der Gemeinde grundsätzlich ein planerischer Freiraum zu.[59] Die Gemeinde muss im Einzelfall entscheiden, welche Belange so gewichtig sind, dass andere Belange zurücktreten müssen.

Der Grundsatz der Gleichgewichtigkeit aller Belange erfährt allerdings eine Ausnahme durch die o.g. Optimierungsgebote. Auch dem privaten Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) kommt im Rahmen der Abwägung eine besondere Bedeutung zu. Eine mit dem Entzug bestehender Baurechte verbundene „Wegplanung“ des Eigentums setzt daher eine besonders sorgfältige – und dokumentierte – Abwägung voraus.

Ferner muss die Gemeinde die o.g. Planungsleitsätze und die allgemein gültigen Abwägungsgrundsätze beachten. Es handelt sich dabei vor allem um folgende Prinzipien:[60]

  1. Abwägungsprinzipien
  2. Gebot der Abwägungsbereitschaft

Die Gemeinde muss bei der Planung für alle in Betracht kommenden Planungsvarianten offen sein, d.h. sie darf nicht von vornherein auf eine bestimmte Planung festgelegt sein. Das Gebot der Abwägungsbereitschaft wird z.B. verletzt, wenn die Gemeinde alternative Planungsmöglichkeiten nicht in ihre Erwägungen einbezieht, weil dieses zu einer zeitlichen Verzögerung des Verfahrens zur Aufstellung des Bebauungsplans führen könnte[61] oder die Planung von vornherein auf ein bestimmtes Ergebnis fixiert ist. Das Gebot der Abwägungsbereitschaft gerät allerdings in der kommunalen Praxis nicht selten in Widerstreit mit der Notwendigkeit, bereits bei der Bauleitplanung auf die Bedürfnisse und Wünsche derjenigen einzugehen, die im Bebauungsplangebiet Gebäude errichten oder gewerbliche Anlagen schaffen wollen. Deshalb ist die Vorstellung, die Bauleitplanung müsse frei von jeder Bindung erfolgen, lebensfremd; gerade bei größeren Objekten, etwa der Industrieansiedlung oder der Planung eines ganzen neuen Stadtteils, wird häufig mehr Bindung als planerische Freiheit vorhanden sein.[62] Der Grundsatz ist deshalb so zu verstehen, dass überflüssige Vor-Festlegung der Gemeinde nicht erfolgen soll – Stichwort: Ergebnisoffen.

  1. Zusammenstellen des Abwägungsmaterials

 

Die Gemeinde kann nur dann eine rechtsstaatliche Planungsentscheidung treffen, wenn sie alle von der Planung betroffenen öffentlichen und privaten Belange in die Abwägung einstellt.[63] In der Praxis bereitet gerade das Zusammenstellen des Abwägungsmaterials die meisten Schwierigkeiten und führt zu Abwägungsfehlern mit der Folge der Nichtigkeit des Bebauungsplans.

Grundsätzlich müssen alle Belange berücksichtigt werden, die “nach Lage der Dinge[64] betroffen sind. Dabei sind nicht nur die positiven Aspekte der Bauleitplanung zu berücksichtigen, sondern auch die mit der Planung verbundenen negativen Auswirkungen. Natürlich kann die Gemeinde bei ihrer Bauleitplanung “nicht alles sehen”.[65] Es ist gerade der Zweck der Beteiligung der Bürger und der Träger öffentlicher Belange, der Gemeinde die Kenntnis der Betroffenheit der verschiedenen öffentlichen und privaten Belange zu vermitteln. Zu der Berücksichtigung privater Belange gibt es eine umfangreiche Kasuistik des BVerwG, auf die hier aus Zeitgründen nicht näher eingegangen werden kann. Genannt seien nur: privates Eigentum, Beibehaltung des bisherigen Grundstückzustandes, Schutz vor heranrückender Wohnbebauung ebenso wie Schutz vor Immissionen (Lärm, Gerüche, Gase).

 

Bsp. a) Beeinträchtigung der Aussicht durch ein neues Baugebiet in der bisher freien Landschaft[66]

  1. b) Die Beeinträchtigung durch eine Steigerung des Verkehrslärms ist auch dann abwägungsrelevant, wenn die Zumutbarkeitsgrenze der VerkehrslärmschutzVO nicht überschritten wird.[67]

Nicht in die Abwägung einzustellen sind allerdings rein wirtschaftliche Belange, insbes. das Interesse an der Erhaltung einer günstigen Marktlage; das Bauplanungsrecht ist wettbewerbsrechtlich neutral. Bsp. Das Interesse eines vorhandenen Einzelhandelsgeschäfts an der Verhinderung der Ansiedlung eines Einkaufszentrums ist bei der Abwägung nicht zu berücksichtigen.[68] Umgekehrt sind bei der Aufstellung von Bauleitplänen vorhandene Einzelhandelskonzepte einzubeziehen, doch können diese im Rahmen der Abwägung überwunden werden.[69]

 

  1. Gebot der Rücksichtnahme

 

Das Gebot der Rücksichtnahme wurde vom BVerwG vor allem im Rahmen des Nachbarschutzes herangezogen. Es ist aber in seinem objektiv-rechtlichen Gehalt auch bei der Aufstellung der Bauleitpläne zu beachten.[70] Das Gebot der Rücksichtnahme bedeutet inhaltlich, dass jedes Bauvorhaben auf die Umgebung Rücksicht nehmen und Auswirkungen vermeiden muss, die zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung anderer Grundstücke führen. So ist z.B. der vom BVerwG entwickelte Grundsatz, dass Wohnbebauung und immissionsträchtige gewerbliche Nutzung räumlich zu trennen sind,[71] auf das Gebot der Rücksichtnahme zurückzuführen;

ein Bebauungsplan, der in unmittelbarer Nachbarschaft eines Wohngebiets ein großes Industrieunternehmen vorsieht, verstößt deshalb gegen das Gebot der Rücksichtnahme und ist nichtig.[72] Ebenso wird das Gebot der Rücksichtnahme verletzt, wenn in unmittelbarer Nachbarschaft eines immissionsträchtigen Gewerbebetriebs ein Wohngebiet[73] geplant wird.

Der Verpflichtung zur Trennung von Wohngebieten und gewerblicher Nutzung kann zum einen dadurch entsprochen werden, dass zwischen einer reinen Wohnbebauung und einem Gewerbe- oder Industriegebiet ein hinreichend großer Abstand gewahrt wird oder aber eine Gliederung des Gewerbegebiets, dass in der Nachbarschaft des Wohngebiets nur emissionsarme Betriebe errichtet werden dürfen.[74] Zum andern kann der erforderliche Schutz des Wohngebiets vor Immissionen durch besondere Vorkehrungen (Lärmschutzwälle o. ä.) gewährleistet werden.[75]

  1. Gebot der Lastenverteilung

 

Wenn der Bebauungsplan, etwa für die Anlage von öffentlichen Verkehrsflächen oder die Schaffung öffentlicher Einrichtungen, die Inanspruchnahme oder  Beeinträchtigung von Privatgrundstücken verlangt, dann müssen die dadurch entstehenden Belastungen möglichst gleichmäßig auf alle Grundstückseigentümer verteilt werden.[76] Z.B. durch ein Umlegungsverfahren (§§ 45 ff. BauGB). Private Grundstücke dürfen für öffentliche Zwecke nur herangezogen werden, wenn keine geeignete Fläche im Eigentum der öffentlichen Hand zur Verfügung steht.[77] Die Privatnützigkeit des Eigentums an einem Grundstück soll möglichst erhalten bleiben.

  1. Gebot der Konfliktbewältigung

 

Der Bebauungsplan muss zumindest diejenigen Festsetzungen enthalten, die zur Bewältigung der vorhandenen oder durch die vorgesehene Bodennutzung neu entstehenden städtebaulichen Konflikte notwendig sind; hierfür hat sich die Bezeichnung “Gebot der Problembewältigung bzw. Konfliktbewältigung” eingebürgert.[78] Das BVerwG hat wiederholt klargestellt, dass bei der Bauleitplanung nicht bereits alle möglicherweise auftretenden Konflikte gelöst werden müssten, sondern die Konfliktbewältigung dem nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren oder dem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren überlassen bleiben kann.[79] Der Grundsatz der Problembewältigung verlangt für die Bauleitplanung aber zumindest, dass die Frage geklärt wird, ob überhaupt im Rahmen des Genehmigungsverfahrens eine Konfliktbewältigung möglich ist.

Bsp. a) Für den Bau einer Auto-Teststrecke werden landwirtschaftlich genutzte Grundstücke benötigt. Der VGH hat es gebilligt, dass die Gemeinde bei der Aufstellung des Bebauungsplans nicht der Frage nachgegangen ist, ob Enteignungen zulässig sind, weil dieses im nachfolgenden Enteignungsverfahren geklärt werden könne und notfalls im Flurbereinigungsverfahren Ersatzgelände bereitgestellt werden könnte.[80]

  1. b) Ein Bebauungsplan, der eine Fläche für eine Schule vorsieht, braucht nicht bereits festzulegen, wo die für den Nachbarn besonders störenden Sportanlagen der Schule errichtet werden sollen.[81]

 

III.    Die gerichtliche Überprüfung der Abwägung

Das Problem der Überprüfung von Planungsentscheidungen durch die Aufsichtsbehörde und auch durch die Verwaltungsgerichte wird in Deutschland wie folgt beurteilt:

“Das Gebot gerechter Abwägung ist verletzt, wenn eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattfindet. Es ist verletzt, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss. Es ist ferner verletzt, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt, oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtung einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung des anderen entscheidet.”[82]

Diese Grundsätze sind in der baurechtlichen Literatur als Abwägungsausfall, Abwägungsdefizit, Abwägungsfehleinschätzung und Abwägungsdisproportionalität schlagwortmäßig zusammengefasst worden.[83] Demgegenüber werden Fehler bei der Ermittlung oder Bewertung des Abwägungsmaterials (§ 2 Abs. 3 BauGB) nach dem Gesetz als Verfahrensfehler eingestuft,[84] im Übrigen betreffen die Mängel das Abwägungsergebnis.

 

Bsp. a) Abwägungsausfall

Die Stadt R. schließt mit einem großen Kaufhauskonzern einen Vertrag über die Schaffung einer Filiale in R. und verpflichtet sich, den hierfür erforderlichen Bebauungsplan aufzustellen. Der Gemeinderat hält sich bei der Abwägung der verschiedenen Belange für an diese – in Wirklichkeit nichtige – Vereinbarung gebunden.[85]

 

Bsp. b) Abwägungsdefizit

  1. Der Gemeinderat beschließt die Ausweisung eines Allgemeinen Wohngebiets in der Nachbarschaft einer Haut-Leimfabrik, ohne sich über die von dieser Fabrik ausgehenden Geruchsemissionen zu informieren.[86]
  2. Bei der Aufstellung eines Bebauungsplans wird einem Verdacht, der Boden enthalte Altlasten, nicht weiter nachgegangen. Nach Ansicht des Obergerichts muss die Gemeinde zwar nicht von sich aus Ermittlungen über Altlasten anstellen, aber einem auftauchenden Verdacht nachgehen.[87]

 

Bsp. c) Abwägungsfehleinschätzung

  1. Der Rat einer Gemeinde geht zu Unrecht davon aus, dass bei einem Abstand von 100 m zwischen einem großen Kuhstall und einer Wohnbebauung nicht mit Geruchsbelästigungen zu rechnen sei.[88]
  2. Der Rat einer Gemeinde “verharmlost” die Gesundheitsgefahr durch eine Schwermetall-Verunreinigung des Erdbodens.[89]

 

Bsp. d) Abwägungsdisproportionalität

  1. Der Gemeinderat beschließt einen Bebauungsplan, der unmittelbar neben einem großen Wohngebiet in einem unter Landschaftsschutz stehenden Gelände ein Industriegebiet (Flachglasfabrik) vorsieht, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Hierin liegt jedenfalls dann ein Verstoß gegen das Abwägungsgebot, wenn auch ein anderes, weniger schutzwürdiges Gelände für die Industrieansiedlung zur Verfügung steht.[90]
  2. Der Rat einer Gemeinde geht bei der Planung eines neuen Fußballstadions von einer zu niedrigen Zahl der erforderlichen Parkplätze aus.[91]

 

Die Bedeutung von Abwägungsfehlern[92] hat mit § 214 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Satz 2 BauGB eine bedeutsame Einschränkung erfahren. Danach wird nunmehr nur noch zwischen Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis unterschieden. Ersteres bedeutet das Zusammenstellen des Abwägungsmaterials[93], d.h. die Gewinnung der notwendigen tatsächlichen und rechtlichen Erkenntnisse für die zu treffende Planungsentscheidung. Das Abwägungsergebnis bezieht sich demgegenüber auf die Gewichtung des Abwägungsmaterials und die darauf beruhende Entscheidung zugunsten bestimmter öffentlicher oder privater Belange. Mängel im Abwägungsvorgang sind nach der gesetzlichen Regelung nur noch erheblich, wenn sie offensichtlich sind und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind; Mängel im Abwägungsergebnis führen demgegenüber stets zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans.[94]

 

  1. Der Inhalt des Bebauungsplans (§ 9 BauGB)

 

Der Inhalt des Bebauungsplans ist gesetzlich vorgegeben und abschließend. Bedeutsam ist vor allem, dass Art und Maß der baulichen Nutzung sowie die Bauweise, die überbaubaren Grundstücksflächen und die Stellung der baulichen Anlagen im Bebauungsplan festgesetzt werden können. Zur Konkretisierung dieser Regelung hat der deutsche Gesetzgeber die Baunutzungsvervordnung (BauNVO) geschaffen, die weitere Einzelheiten zu den festzusetzenden Inhalten enthält.

 

  1. Art der baulichen Nutzung (§§ 1–15 BauNVO)

 

Diese Festsetzung im Bebauungsplan betrifft die Art des Baugebietes, für welche die BauNVO einen abschließenden Katalog bereithält. Dieser Katalog ist für die Gemeinde bindend; zusätzliche Baugebiete können von ihr nicht geschaffen werden.[95] In Deutschland sind folgende grundsätzliche Baugebiete möglich:

  • Kleinsiedlungsgebiete
  • reine und allgemeine Wohngebiete
  • besondere Wohngebiete
  • Dorfgebiete
  • Mischgebiete
  • Kerngebiete
  • Gewerbe- und Industriegebiete
  • Sondergebiete

Die Gemeinden können allerdings nach § 1 Abs. 4–6 BauNVO abweichende Regelungen treffen, indem sie bestimmte zulässige Nutzungen ausschließen oder das Regel-Ausnahme-Verhältnis anders gestalten. Eine solche abweichende Gestaltung darf jedoch nicht dazu führen, dass der Gebietscharakter als solcher verloren geht.[96]

Bsp. a) In einem Mischgebiet darf die gewerbliche Nutzung nicht so weit eingeschränkt werden, dass das Gebiet praktisch zu einem allgemeinen Wohngebiet wird[97]; ebenso darf aber in einem Mischgebiet auch nicht die Errichtung von Wohngebäuden ausgeschlossen werden, weil dadurch faktisch ein Gewerbegebiet geschaffen würde.[98]

  1. b) Im Dorfgebiet darf landwirtschaftliche Nutzung nicht ausgeschlossen werden.[99]
  2. c) Im allgemeinen Wohngebiet darf nicht jede andere Nutzung außer Wohnen ausgeschlossen werden, weil dadurch ein reines Wohngebiet entsteht.[100]

 

  1. Maß der baulichen Nutzung (§§ 16–21 BauNVO)

 

Der Gemeinderat kann ferner nach §§ 16 ff. BauNVO das Maß der baulichen Nutzung bestimmen, in dem er die Grundflächen- und Geschossflächenzahl, die Geschosszahl sowie die Gebäudehöhe festlegt.

 

III. Bauweise und überbaubare Grundstücksfläche (§§ 22, 23 BauNVO).

 

Der Bebauungsplan kann nach § 22 BauNVO die offene oder die geschlossene Bauweise festsetzen. Offene Bauweise bedeutet, dass die Gebäude einen Abstand (Bauwich) aufweisen müssen, während sie bei geschlossener Bauweise an das Nachbargebäude angebaut werden müssen (§ 22 Abs. 2, 3 BauNVO). Offene Bauweise bedeutet aber nicht, dass die Gebäude zur Grundstücksgrenze einen Abstand einhalten müssen. Wie § 22 Abs. 2 BauNVO zeigt, können auch Doppelhäuser und sogar Reihenhäuser bis zu 50 m Länge in offener Bauweise errichtet werden, auch wenn sich Doppelhäuser und insbesondere Reihenhäuser über mehrere Grundstücke erstrecken. Nach der neueren Rechtsprechung des BVerwG setzt ein Doppelhaus begrifflich voraus, dass die beiden Haushälften auf jeweils getrennten Grundstücken stehen, aber das Gebäude gleichwohl als bauliche Einheit in Erscheinung tritt.[101]

Während die bauliche Nutzung der Grundstücke im Geltungsbereich eines Bebauungsplans durch die Festsetzung von Grund- und Geschossflächenzahlen nur abstrakt, d.h. nicht auf das einzelne Grundstück bezogen, geregelt wird, kann die Gemeinde durch die Festsetzung von Baulinien und Baugrenzen (§ 23 BauNVO) auch bis ins Detail die Bebauung jedes einzelnen Grundstücks festlegen. Durch die Festsetzung eines sog. Baufensters, d.h. Baulinien auf allen 4 Seiten, kann die Gemeinde sogar genau den Grundriss und den Standort des Gebäudes festlegen.

 

  1. Sonstige Festsetzungen im Bebauungsplan

 

Neben diesen in beinahe allen Bebauungsplänen anzutreffenden Regelungen lässt § 9 Abs. 1 BauGB noch eine Vielzahl anderer Regelungen zu, die hier nicht im Einzelnen dargestellt werden können. Zu erwähnen sind vor allem Folgende mögliche Festsetzungen: Flächen für den Gemeinbedarf (Nr. 5), Verkehrsflächen (Nr. 11), Versorgungsflächen (Nr. 12), öffentliche und private Grünflächen (Nr. 15), Flächen für Gemeinschaftsanlagen (Nr. 22), Flächen für Lärmschutzwälle und ähnliche Einrichtungen zum Schutz gegen Immissionen (Nr. 24).

  1. Der fehlerhafte Bebauungsplan

 

Rechtsfolge von formellen und materiellen Fehlern beim Erlass einer Rechtsnorm ist nach allgemeinen Grundsätzen die Nichtigkeit der Norm. Hiervon machen §§ 214–216 BauGB in beträchtlichem Umfang eine Ausnahme.[102] Der Gesetzgeber hat im Interesse der Planerhaltung[103] die sonst allgemein gültigen Regeln über die Rechtsfolgen von Fehlern bei Rechtsnormen durchbrochen und ein recht kompliziertes System von unbeachtlichen, innerhalb einer bestimmten Frist (§ 215 Abs. 1 BauGB) beachtlichen und auch ohne Rüge stets beachtlichen Fehlern ersetzt. Der Gesetzgeber will durch §§ 214, 215 BauGB verhindern, dass Bebauungspläne, die sich inhaltlich im Rahmen der Planungshoheit der Gemeinde halten, im Wege des Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO oder einer verwaltungsgerichtlichen Inzidentkontrolle bei baurechtlichen Streitigkeiten für nichtig befunden werden, weil dem Gemeinderat bei dem Abwägungsvorgang ein unwesentlicher formaler Fehler unterlaufen ist.

 

Verfahrensfehler sind nur beachtlich, wenn die von der Planung berührten Belange nicht zutreffend ermittelt oder bemerkt worden sind (§ 124 Abs. 1 Nr. 1 BauGB), die Vorschriften über die Bürgerbeteiligung oder die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange sowie über einen Bebauungsplan im vereinfachten oder beschleunigten Verfahren nach §§ 13 Abs. 2,[104] 13 a BauGB (Nr. 2), die Begründung des Bebauungsplans (Nr. 3), den Satzungsbeschluss nach § 10 BauGB oder das Genehmigungsverfahren nach § 10 Abs. 2 BauGB sowie die Bekanntmachung (Nr. 4) nicht eingehalten worden sind. Die beachtlichen Form- und Verfahrensfehler müssen innerhalb von einem Jahr schriftlich gegenüber der Gemeinde gerügt worden sein.[105] Einen Verstoß gegen Vorschriften der Gemeindeordnung stellt insbesondere die Beteiligung von befangenen Gemeinderäten bei dem Satzungsbeschluss nach § 10 BauGB dar.[106] Die Mitwirkung eines befangenen Ratsmitgliedes führt zur Nichtigkeit des Bebauungsplans,[107] wobei es darauf ankommt, ob dieser befangene Gemeinderat Einfluss auf die Entscheidung über den Bebauungsplan genommen hat (§ 31 Abs. 6 GO NRW).

Rügeberechtigt ist jedermann. Eine ordnungsgemäß und fristgerecht geltend gemachte Rüge eines Abwägungsfehlers bewirkt, dass der gerügte Fehler in jedem Gerichtsverfahren grundsätzlich beachtlich ist und dort von dem jeweiligen Antragsteller beziehungsweise Kläger zeitlich unbeschränkt geltend gemacht werden kann.[108]

  • 214 Abs. 4 BauGB hat die nachteiligen Folgen der Fehlerhaftigkeit eines Bebauungsplans weiter eingeschränkt. Nach dieser Vorschrift kann der Fehler nämlich häufig durch ein Planergänzungsverfahren bereinigt werden. Mängel des Bebauungsplans können durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden; der fehlerfreie Bebauungsplan kann auch rückwirkend in Kraft gesetzt werden.[109] Die Vorschrift findet sowohl für Verfahrensfehler als auch für materiell-rechtliche Fehler Anwendung.[110] Bei materiell-rechtlichen Fehlern ist eine Fehlerheilung durch ein ergänzendes Verfahren unproblematisch, soweit es sich lediglich um eine Planergänzung handelt. Die Behebung eines Abwägungsfehlers durch ein ergänzendes Verfahren ist allerdings nur zulässig, wenn dadurch die Grundzüge der Planung nicht berührt werden.[111] Es wäre z.B. nicht zulässig, im Wege eines ergänzenden Verfahrens den Baugebietscharakter grundlegend zu verändern, etwa aus einem Wohngebiet ein Mischgebiet zu machen. Die nachträgliche “Planreparatur”[112] ist nur möglich bei punktuellen Nachbesserungen im Rahmen einer ansonsten ordnungsgemäßen Gesamtplanung.[113]

Die Planerhaltungsvorschriften gelten sowohl in Normenkontrollverfahren als auch bei der Inzidentkontrolle eines Bebauungsplans.[114] Demgegenüber gelten die §§ 214, 215 BauGB nach § 216 BauGB nicht für das Genehmigungsverfahren; die Genehmigungsbehörde muss also die Genehmigung versagen, wenn bei der Aufstellung des Bebauungsplans gegen die Vorschriften des BauGB verstoßen worden ist. Bedient sich eine Gemeinde des Mittels der Rückwirkungsanordnung zur Heilung von Form- oder Verfahrensfehlern, so stellt sie die Weichen für die städtebauliche Ordnung nicht im Nachhinein anders, sondern sie ersetzt lediglich einen formell fehlerhaften durch einen inhaltsgleichen fehlerfreien Plan.

[1] so Schmidt-Aßmann  BauR 1978, 99; ähnlich auch Battis/Krautzberger/Löhr § 1 Rdnr. 1

[2] §§ 1 Abs. 3, 2 Abs. 1 BauGB

[3] BVerwG NVwZ 2004, 220

[4] nach § 1 Abs. 1 BauGB

[5] BVerwGE 34, 301

[6] BVerwG NVwZ 1999, 1338

[7] BVerwG NVwZ 2002, 1510

[8] BVerwGE 117, 351;

[9] BVerwG BRS 71 Nr. 3

[10] s. dazu BVerwG E 90, 329 = NVwZ 1993, 167; E 117,351 = NVwZ 2003, 742; NVwZ 2004, 220; Spannowsky DÖV 1997, 757; Nonnenmacher VBlBW 2008, 161 u. 201

[11] BVerwGE 117, 25 = NVwZ 2003, 86; Zierau DVBl. 2009, 693; Hoffmann NVwZ 2010, 738; vgl. § 2 Abs. 2 BauGB

[12] BVerwGE 84, 209 = NVwZ 1990, 464; das gleiche gilt für eine Windenergieanlage– OVG Lüneburg NVwZ 2001, 452.

[13] Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 2. Aufl., 1998, Rn. 1638 ff.

[14] §§ 1 a Abs. 3 BauGB, 21 Abs. 1 BNatSchG; s. dazu Kratsch NuR 2009, 398; Hendler/Brockhoff NVwZ 2010, 733; Engel/Ketterer VBlBW 2010, 293

[15] Sparwasser/Wöckel UPR 2004, 246

[16] BVerwG NVwZ 2002, 1103

[17] OVG Schleswig NuR 2004, 56

[18] VGH Mannheim BRS 44 Nr. 227

[19] vgl. dazu Hoppe DVBl. 1992, 853; Sendler UPR 1995, 45; Brohm § 13 Rdnr. 6 ff.

[20] BVerwG E 71, 163 = NVwZ 2007, 831.

[21] BVerwG E 108, 248 = NVwZ 1999, 1222, E 128, 238 = NVwZ 2007, 831.

[22] vgl. Stüer Rdnr. 1315 ff.; Paetow NVwZ 2010, 1184.

[23] BVerwG E 26, 287 = NJW 1967, 385; E 48, 70 = NJW 1975, 1985; NVwZ-RR 2003, 406

[24] nach §§ 5 Abs. 2 BauGB, 1 Abs. 1 BauNVO

[25] BVerwGE 48, 70

[26] Battis/Krautzberger/Löhr § 5 Rdnr. 45; Spannowsky/Uechtritz § 5 Rdnr. 11

[27] BVerwGE 48, 70; 70, 171 = NVwZ 1985, 485; NVwZ 2000, 197; NVwZ 2006, 87

[28] VGH Mannheim BauR 1983, 222; VBlBW 1985, 21

[29] BVerwGE 48, 70

[30] VGH Mannheim VBlBW 1985, 21

[31] nach § 8 Abs. 4 BauGB; s. dazu BVerwG NVwZ 2000, 197

[32] vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, Grundsätze der Bauleitplanung, BauR 1978, 99

[33] VGH Mannheim VBlBW 1983, 106

[34] nach BVerwGE 50, 114

[35] OVG Münster, B.v. 8.07.2010 – 7 A 1235/09 -, juris

[36] BVerwG BauR 1991, 165; eb. BVerwG NVwZ 1991, 62 – Verhinderung von Gipsabbau.

[37] BVerwG BauR 1988, 488; VGH Mannheim NVwZ-RR 1999, 625

[38] OVG Münster NWVBl 2011, 467; vgl. § 60 Abs. 2 GO NRW.

[39] § 2 Abs. 1 Satz 2 BauGB

[40] vgl. dazu Battis/Krautzberger/Löhr § 3 Rdnr. 7

[41] Ley BauR 2000, 653

[42] VGH Mannheim VBlBW 2008, 186). Unschädlich ist es, wenn das konkrete Dienstzimmer nicht angegeben wird (BVerwG NVwZ 2009, 1103; a. M. noch VGH Mannheim VBlBW 2008, 186

[43] BVerwGE 55, 369; 69, 344

[44] BVerwG NVwZ 2001, 203

[45] BVerwG NVwZ-RR 1997, 514

[46] hierzu im Einzelnen: BVerwG NVwZ 2000, 676; VGH Mannheim BWVBl 1968, 91

[47] s. dazu Stollmann NuR 1998, 578

[48] VGH Mannheim VBlBW 2009, 466 – s. auch Schenk VBlBW 1999, 161

[49] BVerwG NVwZ 1988, 916; NVwZ 2011, 61; vgl. auch Ziegler NVwZ 1990, 533

[50] nach § 8 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 BauGB

[51] BVerwGE 34, 301

[52] s. dazu BVerwGE 133, 98 = NVwZ 2009, 1103

[53] E 65, 283 = NVwZ 1984, 430

[54] BVerwG BauR 2004, 1129

[55] s. dazu Reidt NVwZ 2007, 1029

[56] BVerwG NVwZ-RR 2009, 729

[57] BVerwG NVwZ 2009, 1289

[58] s. dazu insbes. BVerwGE 34, 30; 45, 309; Hoppe NVwZ 2004, 903; Stüer DVBl. 2005, 806

[59] s. dazu Hoppe DVBl. 2003, 697; Stüer Rdnr. 792

[60] s. dazu im Einzelnen: Schmidt-Aßmann BauR 1977, 99; Bernhardt JA 2008, 166; Stüer DVBl. 2005, 806.

[61] VGH Mannheim VBlBW 1982, 135

[62] E 45, 309

[63] Dolde/Menke NJW 1999, 1070 ff.

[64] so BVerwGE 34, 301; 59, 87

[65] so BVerwGE 59, 87; NVwZ 2008, 899

[66] BVerwG NVwZ 1995, 895; VGH Mannheim VBlBW 1997, 426

[67] BVerwG NJW 1992, 2884; NVwZ 1994, 683; NVwZ-RR 1999, 278

[68] BVerwG NVwZ 1990, 555; 1991, 980; 1994, 683

[69] vgl. dazu BVerwG NVwZ 2009, 1103

[70] VGH München BRS 65 Nr. 15; OVG Koblenz BRS 40 Nr. 33; Schmidt-Aßmann BauR 1978, 99; Ernst/Zinkahn/Bielenberg § 1 Rdnr. 210

[71] vgl. auch § 50 BImSchG sowie BVerwG BauR 1992, 344; VGH München ZfBR 1986, 248; Stüer Rdnr. 859

[72] BVerwGE 45, 309

[73] VGH München NJW 1983, 297; VGH Mannheim VBlBW 1991, 18

[74] OVG Münster BRS 58 Nr. 30

[75] OVG Hamburg BauR 1987, 657

[76] BVerwG NVwZ-RR 2000, 533; NVwZ 2002, 1506; VGH Mannheim VBlBW 1997, 305

[77] BVerfG NVwZ 2003, 727; BVerwG NVwZ 2005, 324

[78] s. dazu insbes. Sendler WuV 1985, 211; Stüer BayVBl 2000, 257

[79] E 69,30 = NVwZ 1984, 235; NVwZ 2010, 1246

[80] VGH Mannheim VBlBW 1983, 106; s. dazu nunmehr BVerfG 74, 264 = NJW 1987, 1251.

[81] BVerwG BauR 1988, 448

[82] BVerwG 34, 301

[83] Hoppe/Bönker/Grotefels § 7 Rdnr. 94 ff.; Schmidt-Aßmann BauR 1978, 99; Heinze NVwZ 1986, 87; v.Komorowski/Kupfer VBlBW 2003, 1 ff., 49 ff., 100 ff.

[84] § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB

[85] VGH Mannheim ESVGH 28, 152 = BRS 33 Nr. 6

[86] VGH Mannheim VBlBW 1980, 24

[87] OVG Koblenz NVwZ 1992, 190; eb. VGH Mannheim Urt. v. 5.5.1999 – 3 S 1265/99; s. dazu Koch/Schütte DVBl. 1997, 1415.

[88] OVG Koblenz BauR 1988, 179

[89] OVG Münster BauR 1993, 691

[90] BVerwGE 45, 309

[91] OVG Münster BauR 2006, 306

[92] s. dazu Quaas/Kukk BauR 2004, 1541; Uechtritz ZfBR 2005, 11; Erbguth DVBl 2004, 802; v.Komorowski/Kupfer VBlBW 2003, 100; Happ NVwZ 2007, 304

[93] BVerwGE 48, 56; NVwZ 2008, 899

[94] BVerwG NVwZ 2010, 1246

[95] BVerwG BauR 1991, 169; NVwZ 1999, 1341

[96] BVerwG NVwZ 2005, 324

[97] OVG Lüneburg BauR 1981, 454

[98] VGH Mannheim VBlBW 1997, 139

[99] VGH München BauR 1987, 285; VGH Mannheim VBlBW 1992, 303

[100] BVerwG NVwZ 1999, 1341

[101] BauR NVwZ 2000, 1055

[102] s. dazu Quaas/Kukk BauR 2004, 1541; Uechtritz ZfBR 2005, 11; Erbguth DVBl 2004, 802; v.Komorowski/ Kupfer VBlBW 2003, 1 ff., 49 ff., 100 ff.

[103] vgl. auch BVerwG NVwZ 2003, 171

[104] vgl. BVerwG BauR 2009, 1862

[105] BGH NJW 1980, 1751; BVerwG DVBl. 1982, 1095

[106] s. dazu Hager VBlBW 1994, 263

[107] OVG Münster NWVBl. 1995, 339

[108] OVG Münster, U.v. 22.03.2011 – 2 A 371/09 -, juris

[109] s. dazu BVerwG BauR 2010, 1894; BauR 2011, 1622

[110] Finkelnburg NVwZ 2004, 897; Rieger UPR 2003, 161; Dolde NVwZ 2001, 976

[111] BVerwGE 119, 54 = NVwZ 2004, 226; NVwZ 2003, 1385; NVwZ 2000, 1053

[112] so Stüer/Rude DVBl. 2000, 322

[113] VGH München GewArch 1999, 432

[114] OVG Münster – 2 A 371/09 -, a.a.O.

Relazione tedesca Dr. Andreas Middeke – Cagliari 8/6/2018

Das Einschreiten gegen illegale bauliche Anlagen und Möglichkeiten ihrer Legalisierung unter bes. Berücksichtigung von Schutzgebieten (*)
VRVG Dr. Andreas Middeke, Verwaltungsgericht Münster
Gentile Signore e Signori, Medames et messieurs, meine verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, cher collègues, cari colleghi,

A. Die Thematik ist sehr komplex und betrifft verschiedene Rechtsgebiete und Zuständigkeiten, die in der Bundesrepublik Deutschland unterschiedlich geregelt sind. Neben dem Baurecht, dem Naturschutz- und dem Wasserrecht, für die der Bund die Gesetzgebungskompetenz hat, kommt die Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer hinzu, die in diesen Rechtsgebieten ebenfalls besteht. Letztlich sind es aber die Kommunen (Städte, Gemeinden und Regionen), die beim Einschreiten gegen illegale Bauten, sog. Schwarzbauten, gefordert sind und über das Verwaltungsvollstreckungsrecht ihre Verfügungen durchsetzen müssen. In dieser – ich nenne es einmal Dreieckskonstellation – bewegt sich das Einschreiten und die Durchsetzung gegen illegale Bauten im Außenbereich.

B. Die Kommune ist gefordert, illegale Bauten in landschaftlich reizvoller Lage zu beseitigen. Hierzu sehen die Bauordnungen der einzelnen Bundesländer Vorschriften vor. Es gibt zwar eine sog. Musterbauordnung (MBO), die eine gewisse Gleichheit innerhalb der Länder herstellen möchte, doch sind die Regelungen in der MBO nur Empfehlungen, keine zwingende Verpflichtungen, so dass sich die meisten landesrechtlichen Bauordnungen doch unterscheiden können. Ich werde mich im Folgenden auf die Generalklausel in NRW – beschränken, die im Wesentlichen gleichlautend mit § 58 Abs. 2 MBO ist.

„Die Bauaufsichtsbehörden haben bei der Errichtung, der Änderung, dem Abbruch, der Nutzung, der Nutzungsänderung sowie der Instandhaltung baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen i.S. d. § 1 Abs. 1 S. 2 darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die auf Grund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden. Sie haben in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.“

Im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens können die Bauaufsichtsbehörden bei illegalen Bauten entscheiden, ob sie

a) die Nutzung der baulichen Anlage untersagen,

b) die Arbeiten an dem Bauvorhaben stilllegen oder aber

c) die (ganze) bauliche Anlage beseitigen wollen.

Für eine Nutzungsuntersagung oder Stilllegungsverfügung reicht es aus, wenn die bauliche Anlage „formell illegal“ ist, d.h. wenn das betreffende Bauvorhaben nicht durch eine rechtswirksame Baugenehmigung gedeckt ist oder in der Vergangenheit nicht irgendwann rechtmäßig errichtet war und auch aus der Sicht der Behörde nicht – nachträglich – genehmigt werden kann.

Eine bauliche Anlage zu beseitigen, kann mitunter schwieriger sein. „Die Beseitigung einer baulichen Anlage kann zunächst dadurch erfolgen, dass diese schlicht fortbewegt (beiseite geschafft) wird, ohne dass in ihre Substanz eingegriffen wird. Das trifft etwa zu bei einem Materialcontainer, … einer Werbeanlage“ oder einem Hausboot . Von dieser Form der Beseitigung zu unterscheiden ist der vollständige oder teilweise Abbruch einer Anlage, der naturgemäß mit einer Zerstörung der Bausubstanz verbunden ist. „Diese Form … einer „Beseitigung“ wird besser umschrieben mit „Abbruchverfügung“ oder „Abrissgebot“.“

„In der deutschen Rechtsprechung und Literatur ist seit langem anerkannt, dass für das Gebot der Beseitigung einer baulichen Anlage, wenn hierfür keine wesentliche Substanzzerstörung erfolgen muss, keine höheren rechtlichen Anforderungen erfüllt zu sein brauchen, als bei der eben genannten Nutzungsuntersagung.“ Soll demgegenüber ein vorhandener „Bau“ beseitigt, d.h. abgerissen, also dem Erdboden gleichgemacht werden, wird durch den Substanzverlust massiv in das geschützte Eigentumsgrundrecht eingegriffen. Angesichts dessen wird wegen der möglichen Substanzvernichtung bei einer von der Bauaufsicht verfügten Beseitigung eines „formell illegalen“ Bauvorhabens zusätzlich deren „materielle Illegalität“ verlangt. Dies bedeutet, dass das Bauvorhaben auch mit den materiell-rechtlichen öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht in Einklang steht. Hierzu zählen zunächst alle Vorschriften, die die Bauaufsichtsbehörden auch im Genehmigungsverfahren zu prüfen haben. Aber auch, wenn das Bauvorhaben genehmigungsfrei sein sollte, entbindet es den Bauherrn der baulichen Anlage nicht von der Verpflichtung, die öffentlich-rechtlichen Vorschriften, namentlich die des Bauplanungsrechts, des Landschaftsschutzrechts und des Naturschutzrechts einzuhalten. Zu den Voraussetzungen im Einzelnen:

I. Formelle Illegalität

Grundsätzlich bedarf in der Bundesrepublik Deutschland jeder, der die Errichtung, die Änderung, die Nutzungsänderung und den Abbruch baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen, an die die BauO Anforderungen stellt, verfolgt, einer Baugenehmigung, es sei denn, das Gesetz sieht ausnahmsweise etwas anderes vor. Formell baurechtswidrig ist ein (genehmigungspflichtiges) Vorhaben dann, wenn es ohne die erforderliche Baugenehmigung errichtet wird oder errichtet worden ist, weil es dann gegen „öffentlich-rechtliche Vorschriften“ verstößt. Mit der Beseitigung/ dem Abbruch eines Gebäudes, einer baulichen Anlage (alles, was nicht dem dauerhaften Wohnen von Menschen bestimmt ist, wie z.B. Aufschüttung, Wall) allein wegen einer fehlenden erforderlichen Baugenehmigung tut sich die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung in Deutschland wegen des unmittelbaren und schweren Eingriffs in das Eigentumsgrundrecht schwer. Würde allein das bestätigende Papier der erforderlichen Genehmigung fehlen, könnte ein solches auch später noch beschafft werden. Der Abriss einer baulichen Anlage, die u. U. etliche Tausend Euro gekostet hat, hätte dann irreparable Folgen, die – unterstellt, es fehlt nur die Genehmigung – unverhältnismäßig wären. Eine Ausnahme wird nur dann gemacht, wenn eine Beseitigung der betreffenden baulichen Anlage o h n e Substanzverlust, d.h. ohne grundlegende Zerstörung der Baumaterialien möglich wäre, wie z. B. bei einem Wohnwagen, einem Container, einer Werbeanlage oder Fertiggarage oder auch Hausboot, ohne Motor . Solche Fälle dürften im Außenbereich aber eher die Ausnahme sein. Grundsätzlich ist der Abbruch einer baulichen Anlage bei allein formeller Illegalität n u r dann möglich, wenn die finanziellen Auswirkungen für den Eigentümer durch die Beseitigung gering sind und eine effektive Durchsetzung des Baurechts anders nicht möglich wäre.

II. Materielle Illegalität

Bei einem Abbruchgebot, welches unweigerlich die Zerstörung der Bausubstanz zur Folge hätte, ist deshalb nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BVerwG zu fordern, dass das Bauobjekt nicht nur gegen das Genehmigungserfordernis verstößt – also formell illegal ist -, sondern – zusätzlich – seit seiner Errichtung auch fortdauernd gegen materiell-rechtliche Vorschriften verstößt – und damit auch materiell illegal ist. Eine Baugenehmigung dürfte also, auch wenn sie – nachträglich – beantragt würde, nicht erteilt werden können, weil das Bauvorhaben auch inhaltlich gegen Anforderungen des materiellen öffentlichen Rechts wie dem Bauplanungs-, dem Naturschutz- oder Landschaftsschutzrecht oder dem Wasserrecht verstößt. Die Bauaufsichtsbehörden haben im Rahmen ihrer Beseitigungsverfügung damit quasi fiktiv zu prüfen, ob für das abzureißende Bauvorhaben grundsätzlich auch nachträglich noch eine Baugenehmigung erteilt werden könnte.

1. Verstoß gegen § 35 BauGB?

In materieller Hinsicht muss ein Bauvorhaben den planungsrechtlichen Vorschriften des BauGB entsprechen. Da wir unser Augenmerk besonders auf die geschützten Bereiche von Natur und Landschaft legen wollen, möchte ich im Folgenden nur auf den sog. Außenbereich eingehen, da dort im Wesentlichen die geschützten Bereiche von Bedeutung sind. Im Außenbereich, also in einem nicht durch Bauleitplanung beschlossenen oder nicht durch eine zusammenhängende Bebauung geprägten Bereich sind nach § 35 Abs. 1 BauGB entweder privilegierte Bauvorhaben zulässig oder solche, die wegen ihrer Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden können. Dies sind nach der Vorstellung des bundesdeutschen Gesetzgebers zum einen land- oder forstwirtschaftliche Betriebe, Gartenbaubetriebe oder Vorhaben, die der öffentlichen Versorgung mit Energie dienen. Zum anderen wegen ihrer Emissionen aber auch Windenergieanlagen, Kernenergieanlagen, Biogasanlagen oder Tiermastbetriebe. Allgemeine Wohnhäuser sind im Außenbereich regelmäßig nicht gestattet. Hintergrund ist, dass der Außenbereich von einer Versiegelung der Fläche verschont bleiben soll. Die nicht vermehrbaren unbebauten Flächen sollen der Natur und Landschaft sowie dem Erholungswert der Menschen vorbehalten bleiben, die der Gesetzgeber u. a. als gewichtige öffentliche Belange festgelegt hat, die einem Vorhaben nicht entgegenstehen dürfen. Weitere wichtige öffentliche Belange, die nicht beeinträchtigt werden dürfen, können sein: Widerspruch zu den Darstellungen eines Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans, Hervorrufen schädlicher Umwelteinwirkungen, Gefährdung der Wasserwirtschaft oder des Hochwasserschutzes. Nur dann, wenn die Beeinträchtigung solcher öffentlicher Belange ausscheidet, können im Einzelfall auch sonstige, d.h. nicht privilegierte Vorhaben zugelassen werden, wenn zudem die Erschließung gesichert ist.

2. Verstoß gegen BNatSchG?

Ein solcher wichtiger öffentlicher Belang ist die Vereinbarkeit mit dem Naturschutzrecht. Aus § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB ergibt sich, dass ein nicht privilegiertes Bauvorhaben die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege nicht beeinträchtigen darf. Die Bauaufsichtsbehörden haben – in enger Zusammenarbeit mit den Naturschutz- und Landschaftsbehörden – zu prüfen, ob naturschutzrechtliche oder landschaftsschutzrechtliche Belange nicht nur betroffen, sondern beinträchtigt werden. Sie sind also gut beraten, die Fachbehörden einzubeziehen und ihre Stellungnahme zu erbitten. Eine solche Beeinträchtigung durch einen illegalen Bau ist immer dann anzunehmen, wenn das illegale Gebäude in einem durch Naturschutz- und Landschaftsschutzbestimmungen geschützten Gebiet liegt (z. B. FFH- oder Vogelschutzgebiet). Aber auch ohne förmliche Ausweisung eines bestimmten Landstrichs als besonders schützenswertes Naturschutzgebiet können diese Belange beeinträchtigt sein. So zielen die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes darauf ab, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, die Nutzfähigkeit der Naturgüter, die Tier- und Pflanzenwelt sowie die Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft als Lebensgrundlagen des Menschen nachhaltig zu sichern. Die Prüfung, ob ein Verstoß gegen artenschutzrechtliche Verbote vorliegt, setzt eine ausreichende Ermittlung und Bestandsaufnahme der im Einwirkungsbereich der Anlage vorhandenen Tierarten und ihrer Lebensräume voraus. Die Untersuchungstiefe hängt maßgeblich von den naturräumlichen Gegebenheiten im Einzelfall ab. Folgende Beispiele hat die deutsche Rechtsprechung entschieden: Verstoß eines Wochenendhauses, welches in einem 50 m breiten Uferstreifen errichtet wurde, der aber freizuhalten war. Beseitigung eines Blockbohlenhauses auf einer Wiese als wesensfremde Bebauung. Ein Mehrzweckraum für einen Naturfreundeverein, der im Außenbereich ein Wildgehege als Pächter betreibt.

3. Verstoß gegen WHG?

Entsprechendes gilt bei der Gefährdung der Wasserwirtschaft durch den errichteten Bau. Eine solche Gefährdung kann durch die Abwasserbeseitigung, die Beseitigung von Abfall und Müll oder durch die Lagerung von Öl oder anderen Stoffen, die das Grundwasser verseuchen oder einen Wasserlauf verunreinigen können, hervorgerufen werden. Das VG Münster hatte im letzten Monat über eine Baugenehmigung für einen Schweinemastbetrieb zu entscheiden, wo unklar war, wieviel Nitrat und Phosphat von der Gülle (Tierausscheidungen) in ein benachbartes stehendes Gewässer (See) eintrat. Hier muss die Behörde noch nachermitteln. Aber auch die Lagerung landwirtschaftlicher Gerätschaften im Wasserschutzgebiet ist kritisch zu sehen, wenn diese mit grundwassergefährdeten Stoffen befüllt sind. Mit dem Gesetz zur Verbesserung des Hochwasserschutzes vom 3. Mai 2005 (BGBl. I S. 1224) hat der Gesetzgeber den Hochwasserschutz als öffentlichen Belang ausdrücklich hervorgehoben (BT-Drs. 15/3168, 9). Zu den Zielen dieses Gesetzes gehört auch, die Siedlungsentwicklung dem Hochwasserschutz anzupassen und die durch Hochwasser drohenden Schäden zu mindern (BT-Drs. 15/3168, 8). Im Hinblick auf den einschlägigen Maßstab der verständigen Plausibilität ist eine Beeinträchtigung jedenfalls anzunehmen, wenn das Vorhabengrundstück in einem Überschwemmungsgebiet (im Sinne des § 78 Abs. 1 Satz 1 WHG liegt), und viel dafür spricht, dass es bereits bei einem schweren Hochwasser überschwemmt wurde und die zuständige Behörde keinen Dispens vom allgemeinen Bauverbot erteilt hat (enger wohl OVG NRW, Urt. v. 30. Oktober 2009 – 10 A 1074/08 – juris).

4. Die zu beseitigende illegale bauliche Anlage darf nicht während ihrer Errichtung oder später einmal dem materiellen Recht entsprochen haben, weil sie dann ggf. Bestandsschutz genießt; sie verstieß dann zu irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr gegen öffentliche Vorschriften (z. B. bei aktiver Duldung durch die Behörde oder einer nachträglichen Legalisierung). Für ein Eingreifen des Bestandsschutzes reicht es nicht aus, dass die Anlage unbemerkt von der Bauaufsichtsbehörde bereits seit längerer Zeit an dieser Stelle steht. Dies wird aber häufig von den Betroffenen als Argument angeführt, dass die bauliche Anlage jetzt – nach Jahr und Tag – nicht mehr abgerissen werden dürfe. Eine schutzwürdige Position erlangt der Eigentümer einer illegalen Immobilie nicht dadurch, dass es ihm gelungen ist, die Anlage über Jahre vor der Behörde zu verbergen oder diese von der Illegalität des Baus keine Kenntnis erlangt hat. Bestandsschutz für eine bauliche Anlage liegt nur dann vor, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt wirksam genehmigt wurde oder jedenfalls nach den (damaligen) gesetzlichen Vorschriften materiell-rechtlich genehmigungsfähig gewesen ist. Für die zweite Alternative kommt es darauf an zu prüfen, ob ein fiktiver Bauantrag, wäre er vorher gestellt worden, erfolgreich gewesen wäre, und zwar im Zeitpunkt der Errichtung der Anlage oder zu irgendeinem späteren Zeitpunkt für einen nicht unbeachtlichen Zeitrahmen. Wird Bestandsschutz geltend gemacht, trägt die Beweislast für den rechtlich einwandfreien Zustand der Anlage zu irgendeinem Zeitpunkt, der Bauordnungspflichtige/ der Bauherr. Denn er beruft sich auf ein Gegenrecht, für dessen Behauptung er beweisbelastet ist. Dies ist aber bei Verlust oder Untergang der entsprechenden Bauakten häufig schwierig bis unmöglich. Bei Bauten, die vor dem 2. Weltkrieg errichtet wurden und bis in die jüngste Zeit unbeanstandet genutzt worden sind, hat das Berufungsgericht (Kassationsgericht) in unserem Bundesland eine Erleichterung eingeführt. Danach hat die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen ihrer Ermessensbetätigung die Angemessenheit einer “Stichtagsregelung” zu erwägen. Ob der nordrhein-westfälische Landesgesetzgeber diese Rechtsprechung aufnimmt und in einer derzeit im Umbruch befindlichen Bauordnung unterbringt, bleibt abzuwarten. Zur Vermeidung von Missverständnissen hat der Senat des OVG NRW aber darauf hingewiesen, dass eine solche “Stichtagsregelung” im vorgenannten Sinne nicht automatisch das Nicht-Einschreiten gegen vor dem gewählten Stichtag errichtete “Schwarzbauten” zur Folge hat; auch eine solche “Ermessensrichtschnur” ist Ausnahmen zugänglich, die allerdings – gemessen am Gleichheitssatz – hinreichend sachlich begründet sein müssen, etwa im Hinblick auf eine qualifizierte Beeinträchtigung öffentlicher Belange.

III. Ermessen

Liegen die Voraussetzungen der formellen und materiellen Illegalität vor, liegt die Entscheidung der Beseitigung des Gebäudes oder der baulichen Anlage im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde („kann“). Allerdings geht die deutsche Rechtsprechung hier von einem sog. intendierten Ermessen aus. D.h. die Bauaufsichtsbehörde soll bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen im Regelfall mittels eines Verwaltungsaktes die Beseitigung der illegalen bauliche Anlage verfügen und darf lediglich ausnahmsweise bei Vorliegen begründeter Einzeltatsachen von einem Abbruchgebot absehen, was dann aber besonders zu begründen ist. Gegenstand der Bauordnungsverfügung kann nur die bauliche Anlage als Ganzes sein, da sie im Ganzen dem materiellen Recht widerspricht. Die Ermessensentscheidung, eine Beseitigungs- oder Rückbauverfügung zu erlassen, kann die Bauaufsichtsbehörde im Regelfall ordnungsgemäß damit begründen, dass die zu beseitigende Anlage formell und materiell illegal ist und dass ein öffentliches Interesse daran besteht, keinen Präzedenzfall- oder Berufungsfall für andere (Dritte) zu schaffen. Eine weitergehende Abwägung des “Für und Wider” einer Beseitigungsanordnung ist nur dann geboten, wenn konkrete Anhaltspunkte ausnahmsweise für die Angemessenheit einer vorübergehenden oder dauerhaften Duldung sprechen. Im Rahmen dieses behördlichen Ermessens muss sich die Bauaufsichtsbehörde mit einer Vielzahl von Einwendungen der Ordnungs-pflichtigen beschäftigen. Häufig wird ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geltend gemacht. Allerdings muss die Behörde bei einer Beseitigungsverfügung immer prüfen, ob der Verstoß so schwer wiegt, dass er die Maßnahme des vollständigen Abbruchs rechtfertigt. Je schwerer der Eingriff in das Grundrecht des Eigentums wiegt, umso schwerer und unabweisbarer müssen die entgegenstehenden öffentlichen Belange sein. Hierzu gehören – wie zuvor benannt – der Naturschutz und die Wasserwirtschaft. Häufig wird eingewandt, der Abriss sei angesichts der aufgewandten Bausummen unverhältnismäßig; die Behörde habe aufgrund des langen Zeitablaufs kein Recht mehr zum Einschreiten. Diese Rechtsauffassung der Betroffenen wird im Regelfall aber kaum überzeugen, da sich der Betroffene über geltendes Recht hinweg und selbst ins Unrecht gesetzt hat. Ansonsten würde auch die Ordnungsfunktion des Bauaufsichtsrechts entwertet. Der gesetzestreue Bürger, der sein Bauvorhaben nur auf der Grundlage einer vollziehbaren Baugenehmigung verwirklicht, würde gegenüber dem rechtswidrig handelnden „Schwarzbauer“ ungerechtfertigt benachteiligt. Auch eine Verwirkung zum Einschreiten durch die Baubehörde kann kaum angenommen werden, da es sich bei der Beseitigungsverfügung der Bauaufsichtsbehörde nicht um ein „Recht“, sondern um eine legislative „Pflicht“ zur Überwachung der Einhaltung der Vorschriften handelt. Allerdings ist dem Ordnungspflichtigen auf Antrag zu gestatten, ein anderes ebenso wirksames Mittel anzuwenden, sofern die Allgemeinheit dadurch nicht stärker beeinträchtigt wird. Das kann ein lediglich teilweiser Rückbau sein. Voraussetzung ist aber immer, dass der dann verbleibende Bauteil für sich genommen genehmigungsfähig und nicht rechtswidrig ist. In dem Fall kann die Behörde von der Durchsetzung ihrer Verfügung Abstand nehmen.

IV. Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen

Nach dem VerwVG des Bundes und der Länder kann ein Verwaltungsakt wie die Beseitigungsverfügung mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wenn er unanfechtbar ist oder wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. Ein Zwangsmittel ist das Zwangsgeld, welches wiederholbar und auch mit höheren Beträgen bis zu jeweils 100.000,- Euro angedroht werden kann. Bei der Bemessung des Zwangsgeldes ist das wirtschaftliche Interesse des Betroffenen an der Nichtbefolgung der Beseitigungsmaßnahme zu berücksichtigen. Im Falle der Uneinbringlichkeit des Zwangsgeldes, z.B. bei Insolvenz, kann das Verwaltungsgericht auf Antrag der Vollstreckungsbehörde ersatzweise eine Inhaftierung anordnen, wenn der Betroffene zuvor darauf hingewiesen wurde. Die Ersatzzwangshaft beträgt mindestens einen Tag und höchstens zwei Wochen. Als weiteres Zwangsmittel kommt die Ersatzvornahme in Betracht. D.h., der Abriss muss nicht durch den Betroffenen selbst durchgeführt werden, sondern die Behörde droht an, die Beseitigung durch eine Fachfirma (Abbruchunternehmen) auf Kosten des Beseitigungspflichtigen vorzunehmen. Als drittes Zwangsmittel kommt die Versiegelung des Geländes oder des zu beseitigenden Bauwerks in Betracht. Damit wird jedem Unberechtigten der Zugang zu der baulichen Anlage verwehrt. Eine solche Zwangsmaßnahme kommt aber nur dann in Betracht, wenn unmittelbare Gefahren für Leib oder Leben durch Betreten der baulichen Anlage bestehen (Stichwort: Statik, Einsturzgefahr). Eine Beseitigung der Anlage ist damit noch nicht verbunden.

C. Mögliche Formen der Legalisierung

I. Bauleitplanung

Ist der Außenbereich bereits durch ein – ehemals legales Bauvorhaben (z.B. Altenteilerhaus) – schon versiegelt, kann das Bauwerk, auch nachdem seine privilegierte Nutzung aufgegeben wurde, unter engen Voraussetzungen im Interesse des Eigentümers beibehalten werden. Den in § 35 Abs. 4 BauGB angeführten Nutzungsänderungen, Erweiterungs- oder Wiederaufbaumaßnahmen kann nicht entgegengehalten werden, dass dieses Bauvorhaben dem Flächennutzungsplan, der Eigenart der Landschaft widerspricht oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lässt. Nur diese Belange sind aufgrund der gesetzlichen Regelung überwindbar. Die sonstigen weiteren öffentlichen Belange, wie Naturschutz und Wasserwirtschaft, bleiben davon unberührt. Falls diese beeinträchtigt werden, kann auch ein nach § 35 Abs. 4 BauGB beschriebenes Vorhaben nicht zugelassen werden. Voraussetzung ist zudem immer, dass es sich bei dem Bauvorhaben, welches nunmehr – ohne Nutzung – im Außenbereich steht, um ein ehemals „zulässigerweise errichtetes“ Bauvorhaben handelt. Darin kommt zum Ausdruck, dass die Regelung an Bestandsgesichtspunkte anknüpft. Ein formell und materiell illegales Bauvorhaben kann demnach nicht nach dieser Vorschrift legalisiert werden.

II. Außenbereichs- oder Innenbereichssatzung

Nach dem deutschen Baurecht kann eine Gemeinde für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Die Satzung kann auch auf Vorhaben erstreckt werden, die kleineren Handwerks- und Gewerbebetrieben dienen. Entgegengehalten werden können solchen Bauvorhaben aber immer noch naturschutz- und wasserrechtliche Belange. Bebauung in Naturschutz- und Wasserschutzgebieten sollen damit generell vermieden werden, so dass auch insoweit eine Legalisierung ausscheidet.

III. Duldung

Eine Form der Legalisierung ist neben der Erteilung einer (nachträglichen) Baugenehmigung (wohl nur unter den vorgenannten Einzelfallvoraussetzungen und nur dann, wenn keine naturschutz- oder wasserrechtlichen Belange beeinträchtigt sind), die Form der Duldung. Hierbei ist zwischen der „aktiven“ und der „passiven“ oder „faktischen“ Duldung zu unterscheiden. Die „passive“ Duldung unterscheidet sich von der „aktiven“ Duldung dadurch, dass die Baubehörde einen illegalen Zustand hinnimmt, ohne gegen das Bauvorhaben in irgendeiner Form ordnungsrechtlich einzuschreiten. Aus ihr kann der Pflichtige keinen Vertrauenstatbestand herleiten. Die Bauaufsichtsbehörde kann nicht alle Gebäude und baulichen Anlagen ständig auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen. Nur dann, wenn die Behörde positive Kenntnis von einem illegalen Bauvorhaben hat (sei es über Nachbarn oder durch andere Behörden) und zu erkennen gibt, dass sie sich auf Dauer mit dem illegalen Bau und seiner Existenz abfinden will, spricht man von einer sog. „aktiven“ Duldung. Wegen dieser einer „Zusicherung“ nahekommenden Wirkung setzt dies aber voraus, dass die Behörde erklärt, ob und in welchem Umfang und über welchen Zeitraum hinweg, sie diesen illegalen Zustand hinnehmen will. Liegt eine „aktive Duldung“ vor, können sich hieraus für vergleichbare Fälle Einschränkungen hinsichtlich der Ermessensausübung unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung ergeben. Eine Ungleichbehandlung liegt beispielsweise dann vor, wenn die Behörde bei vergleichbaren baulichen Anlagen, die materiell illegal errichtet wurden, in Kenntnis ihrer Rechtswidrigkeit nur eine Anlage oder wenige mit einer Beseitigungsverfügung überzieht (z. B. Wochenendhäuser an einem Flusslauf oder an einem See).

D. Ausblick

Bei uns in der Region begegnen die Bauaufsichtsbehörden Bauanträgen, die im Außenbereich errichtet werden sollen, in jüngster Vergangenheit mit allergrößter Vorsicht. Mitunter werden Privilegierungen (landwirtschaftliche Nutzungen) vorgegeben, um diese dann aber bei Unwirtschaftlichkeit nach mehreren Jahren einzustellen. Die Privilegierung wird aufgegeben, dass Gebäude steht aber in reizvoller Umgebung. Die Schwierigkeiten, solche Gebäude beseitigen zu lassen, habe ich gerade versucht, aufzuzeigen. Deshalb sind die Bauaufsichtsbehörden dazu übergegangen, die Zulassungsvoraussetzungen sehr gründlich und sehr streng zu prüfen. Bei Zweifeln an der materiellen Legalität wird das Bauvorhaben auch auf die Gefahr eines Rechtsstreites abgelehnt. Die Behörden wissen selbst, dass die Mühlen der Justitia zwar mahlen, aber relativ langsam. So lange bleibt der Außenbereich, bleibt die Natur und Landschaft vor weiterer Bebauung geschützt. Umgekehrt ist es aber auch so: Bis eine Beseitigungsverfügung durch alle Gerichtsinstanzen rechtlich überprüft wurde, können Jahre vergehen. Solange bleibt das Gebäude stehen. Hier können sich die Baubehörden damit behelfen, dass sie neben der Beseitigungsverfügung auch eine Untersagung der Nutzung des illegalen Gebäudes verfügen. Dann kann der Ordnungspflichtige jedenfalls für die Zeit des Rechtsstreits die Früchte seiner illegalen Tätigkeit nicht nutzen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.